Mittwoch, 28. April 2010

Hong Kong: Tableaus aus der Stadt, die noch nicht schläft








April 17th, Nathan- Road, Ecke Carnary Road, Kowloon; Hong Kong


Last night in Hong Kong!


Nach Mitternacht kaufe ich Joghurt und Bier bei Seven Eleven, der thailändischen Ladenkette, die bald ganz Asien erobert haben wird. Die beiden Dosen stellt die junge Frau auf den Tresen, gleich neben den Joghurt. Plastiktüten gibt es in Hong Kong nicht mehr. Diese Stadt ist im 21. Jahrhundert angekommen.


In den Straßen kriechen Luxuskarossen von BMW, Mercedes, Landrover, Jaguar, Porsche und Ferrari langsam vor sich hin. Fußgänger kommen schneller voran als diese rasenden Träume in Hong Kongs verstopften Straßen. Ihr einziger Sinn scheint darin zu bestehen, mit ihren roten Bremslichtern die verruchte Nacht zu erleuchten. Leichter Regen fällt.


Im Film „Amphetamine“, aus dem ich gerade komme, springt am Ende Kafka Tam von der Brücke hinüber nach Lantau, zu Hong Kongs Flughafen, in den Tod. Er war auf Ice, weil man nur so ein Leben zusammenkriegt, das längst zerbrochen ist. Kafka wollte fliegen. Wollte weg. Und wollte ankommen. Amphetamine wirken nicht nur euphorisierend, sie haben in der Übertragung ins Chinesische auch noch eine andere Bedeutung – sie sind ein Synonym für die schicksalhafte Kraft der Liebe.


Oben auf dem Peak habe ich gestern den halben Tag hellblaue, rote und grüne Schmetterlinge beobachtet. Diese konnten fliegen. Sie schwebten über dem jungen Dschungel und tanzten auf den Dachgärten der Stadt.


Ein Straßendealer flüstert mir ins Ohr: „Ice, Marihuana, Opium?“ Ich lächle müde. Wie sie stündlich das Angebot wechseln. Die Händler vor der Chungking Manson. Anzüge und Hemden nach Maß um 11.00 h morgens, Indian Food von 18.00 bis 20.00 h und danach Drogen. Sex gibt es nach 10.00 h nachts, sind so viele geflüchtete Afrikanerinnen hier, und eine kopierte Rolex rund um die Uhr.


Im Hong Kong Museum of History erfahre ich, dass die Briten es waren, die im 19. Jhd. Opium aus Indien nach Hong Kong brachten, um ihre desaströse Handelsbilanz mit ihrer jüngst eroberten Kronkolonie auszugleichen. Ist es nicht verrückt zu erleben, das die berühmte chinesische Opiumhölle, in der noch heute Millionen Geister nicht zur Ruhe gekommen sind, demnach gar keine chinesische Erfindung ist?


Ich weiß nicht, ob ich in Hong Kong immer leben wollte. Irgendwie tun hohe Häuser weh. Ist es die Angst, dass einem am Ende doch etwas auf den Kopf fällt? Sind so viele Menschen, Fenster, Räume über einem. Ein silbernes Schwert etwa aus einer alten chinesischen Dynastie, aufbewahrt von einem , zu schnellem Geld gekommenen Sammler in einem der zahlreichen Lofts oben, und achtlos, in irgendeinem Streit von einer Verstoßenen, oder in einem Anflug von Wahrheit aus dem Fenster geworfen. Oder auch nur eine andere traurige Geschichte.

Aber die meisten hier sehen gar nicht nach oben, sondern sehen lieber hinab. Rassismus gibt es in Hong Kong eigentlich nicht, es ist nur so, dass man in Hong Kong sagt, die vielen Festlandschinesen mit den billigen Jobs würden sich schlecht benehmen.


Tony erzählte mir vorgestern, dass alle Chief Executive Officer, alle weißen Expats, High-End Touristen, Geschäftsleute, Künstler und Lebenshungrigen auf Hong Kong Island leben. Er sagte das, nachdem er einen schweren Vorhang für E. und mich zur Seite gezogen hatte. Wir waren in Soho, in Hong Kongs legendärer und kaum zu findender „Feather Boa Bar“. Für Sekunden brach sich die Sehnsucht in mir Raum, nun den geheimnisvollsten Ort Hong Kongs entdeckt zu haben. Ein Ort, an dem alle Unwissenden unwissend vorgehen. Ein verschlossener Ort, der nur von der Hand eines einheimischen Freundes geöffnet werden kann. Ein ehemaliges Antiquitätengeschäft, in dem auf den goldenen Sofas die weißen Gäste lümmeln. „Strawberry Daiquiri!“ flüstert mir Tony ins Ohr. Das Cocktailglas, das dann kommt, ist wirklich ganz sanft in Schokolade getaucht.


(Tony, wenn du das liest, danke dir dafür, dass du mir so viele Türen in dieser wahnsinnig aufregenden Stadt geöffnet hast! Ich habe noch nie einen Chinesen getroffen, der so gut Deutsch sprechen kann wie du!)


Eine Stadt lernt man wirklich kennen, wenn man billig wohnt. Wäsche auf Leinen in den endlos langen Fluren, Uringeruch im Treppenhaus, Schneider, die rund um die Uhren arbeiten, angebratenes Öl und Liebespaare. Fahrstühle haben gerade oder ungerade Nummern. Nach einer Weile fahre ich auch bis zum 7. Stock, auch wenn ich im 6. wohne. Ich mag Absteigen.


Im Friseur sitzen viele alte Männer. Ich bin Hong Kong. Schon immer bin ich gern in allen Städten der Welt zum Friseur gegangen. Going native! „Ja, einfach kürzer, aber nicht zu kurz…“ Der Friseur tanzt um meinen Kopf herum, die Anstrengungen der Stadt haben sich tief in sein Gesicht gegraben…Alle färben sich ihre Haare schwarz. Hinten die Frauen, getrennt von den Männern, hier die Herren. Und er schneidet ganz versonnen viel zu kurz. Es gibt immer diesen Moment, jene Sekunde, in der man noch einschreiten könnte, sagen müsste, das wird wieder viel, viel zu kurz. Und die man verstreichen lässt, weil man an eine Fantasie, einem äußeren Bild des Anderen ausgeliefert ist, das man nicht zerstören will. Vielleicht ist es auch nur Höflichkeit oder Feigheit, oder weil man berührt wird, und man sich als Ausgelieferter der Macht eines Banns, einer Lähmung ergibt. Oder ist es der Stuhl, auf dem ich sitze und der mich mit Macht an die unbekannten Mustern einer fremden Kultur fesselt...„Werden Sie wieder kommen?“ Der Friseur geht zu einem Wärmeschrank und holt ein dampfendes, blütenweißes Handtuch heraus. Er reibt sorgsam mein Gesicht und meinen kurzgeschorenen Kopf ab. Es duftet nach Pfefferminze. Ich fühle mich so friedvoll und rein, als hätte meine Mutter mich wie einst als Kind an einem Samstag gebadet. „Ja, vielleicht!“


In die Central Library von Hong Kong, so erklärt uns Pon, gehen die Hong Konger nicht zum lesen, sondern wegen der Klimaanlagen. Kurz danach muss er ins Büro, seine Lunchzeit ist zu Ende. Und wirklich, irgendetwas in diesem Haus ist leer.


Die Menschen in Hong Kong laufen schnell. In der Metro stehen sie dicht gedrängt und telefonieren. Fast alle haben ein Kabel am Ohr. Sie schreiten, laufen, rennen über Rolltreppen, Fußgängerbrücken, Laufbänder, stehen im Fahrstuhl und schreiben eine SMS. Sie sehen lieber an dir vorbei oder durch dich hindurch. Nur manchmal, da sieht dich oder rempelt dich jemand an.


Im Victoria-Park spielen alte Männer mit ihren ferngesteuerten Rennschiffen, die kreischend übers Wasser eines eigens für diesen „Wassersport“ reservierten Bassins jagen. Abgase hängen in den Palmen, durch die sich majestätisch eine Autobahnbrücke schneidet. Die Autos oben rauschen leiser als die Kinderboote der

Alten. Im Swimming Pool neben an krault ein Athlet ganz langsam seine Bahn.


Immer habe ich mich in den Malls verlaufen. Jedes Mal, wenn ich sicher war, endlich den richtigen Metro-Ausgang gefunden zu haben, warten Gucci, Prada, Burberry oder Zegna auf mich. Schaufensterpuppen, die gelangweilt von einem Spaziergang träumen. Auf den Straßen fliegen ihre Kopien umher. Hong Kong hat Millionen Hinweisschilder, seine Malls nur Kleidergrößen. Ganz Asien geht hier shoppen. Die Metro fährt direkt in die Tempel des Konsums.


Im alten Temple von Tai O legt ein alter Fischer Apfelsinen vor den Altar.

Seine Fußnägel sind braun, seine Adern schimmern blau. Ein weißer Reiher steigt auf und zieht über die Geröllberge der vorgelagerten Inseln.


Eine chinesische Nutte zieht an meinem Arm… „Massage, Sex“? Ich habe nachts schon so viele Nutten getroffen, doch diese hier will gar nicht loslassen. „Nein! Nein, ich bin müde, nein ich will nicht!“ Sie aber hat sich in meinem Arm festgebissen, wie ein Hund. Als ich sie abschüttele, tut es mir weh.


Im Fahrstuhl mit den geraden Zahlen sagt mir ein Mann, mit dem ich jetzt um zwei Uhr morgens nicht reden will, er sei aus Afghanistan. Ich hatte gerade den Sicherheitsleuten, die die Chungking Manson ab 24.00 h kontrollieren, meine deutsche Handynummer statt der Nummer meines Reisepasses gegeben. Und meine Roomnumber war auch freierfunden. Ich kann mir keine Zahlen mehr merken. Der Afghane sagt, er sei über Singapur geflohen. Sein Land ist verflucht.


Wieso gibt es keine Bänke in Hong Kong? So gerne wollte ich noch länger sitzen. Wahrnehmen, eintauchen, einer von 8 Millionen werden, ins Kino gehen oder in die Kunst, Dumplings esses with shrimps and pork. Metrofahren, oder mit dem Doppelstockbus, Tram fahren und mich verlaufen, in den Bergen wandern, oder über Inseln. Auf den nassen Holzbänken der alten Fährschiffe sitzen, auch wenn es mal wieder viel zu später geworden ist, und Wolkenkratzer anstarren. Immer wieder staunen und über die Menschheit nachdenken. Wieso muss man in Hong Kong immer stehen?


Und allem Abschied wohnt ein Anfang inne…

http://de.wikipedia.org/wiki/Chungking_Mansions

http://www.boo.com/hongkong/hongkong/nightlife/Feather_Boa_Bar

http://www.thepeak.com.hk/en/home.asp

http://www.amphetaminemovie.com/

http://www.youtube.com/watch?v=YU-oCGr9y64&feature=related

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Huhu,
netter Bericht, bekomme schon richtig Lust, da ich auch gleich nach Hongkong fliege :-)
Dass 7-Eleven aber eine thailändische Firma ist, wäre mir neu. Gibt's eben in Hongkong und vor allem in Japan (hier dann auch wohl kompellt unter eigener Verwaltung) und Amerika schon ewig. :-)