Mittwoch, 23. Dezember 2009

Im Casino der Geister





Graffitis in allen möglichen Sprachen der Welt, Einschusslöcher, Fenster ohne Glas und bröckelnder Putz, das Bokor Palace Hotel auf dem Bokor Mountain liegt wie eine modrige Leiche auf dem mehr als 1000 Meter hohen Plateau. Das alte Hotel, Filmkulisse für den Hollywoodfilm „City of Ghost“ (2003) und für diverse, spätere, asiatische Filmproduktionen muss nicht umgebaut werden, wenn es darum geht, das Ende der Welt oder zumindest das unfreiwillige Ende zwielichtiger Gestalten zu zeigen.

Auch wenn wir jetzt an einem sonnigen Tag die bemoosten Treppen hinaufsteigen, gibt es Momente, in denen wir, Touristen von heute, noch das Klirren der Gläser und die Gelächter der Gäste von einst zu hören meinen. Und doch ist es nur der Wind, der vom Meer kommt und seit Jahrzehnten seine morbide Braut besucht, so nah am Kliff, so nah am Abgrund gebaut.
Die Bokor Hill Station, errichtet von der französischen Kolonialmacht Anfang der 20er, und in träumerischer Nähe zum mondänen Badeort Kep, war das 'elegant getaway for French officials and foreign visitors'. Die kambodschanische Küste überrascht noch heute mit dichten Dschungeln und einer frischen Brise, die vom Golf von Thailand kommt.
Für mehr als zwei Jahrzehnte suchten die Wohlhabenden Kambodschas hier in den 20er und 30er Jahren der mörderischen feuchten Tieflandhitze zu entkommen, die besonders in den Monaten März, April und Mai bis zu 40 Grad erreicht.
Doch bereits in den 40er Jahren verließen die Franzosen das Plateau, von den Japanern vertrieben, die Kambodscha zum Ende des Zweiten Weltkrieg besetzen und später von den Vietnamesen in einen grausamen Befreiungskampf gezwungen, der keine Zeit mehr für Roulette und Champagner ließ.

Reiche Kambodschaner nutzten die in kühlender Höhe gelegene Hill Station noch bis 1974, bevor Kambodscha in die Hände der Roten Khmer fiel. Ihr unbändiger Hass galt nicht nur Städten wie Phnom Penh oder Battambang, sondern ebenfalls den modernen Villen in Kep, die mit den primitivsten Mitteln zerstört wurden. Auch vor dem alten Casinohotel sollten von nun an keine Limousinen mehr parken. Die vornehmen Villen der kambodschanischen Königsfamilie Norodom sind seitdem verlassen, genauso wie die Poststation, die Kirche, die Polizeiwache, die kleineren Hotels und Casinos sowie die Häuser der Angestellten. Sie alle scheinen in der Sonne wie ein Skelett, Erinnerungen an eine andere Zeit.


Das Hotel auf dem Kliff hat alles gesehen. Die weitläufige königliche Familie nahm hier zum Dinner Platz, französische Kolonialbeamte, Industriemagnaten, aristokratische Globetrotter, Schriftsteller und Spieler, die ihr Leben verzockten. Manche Hotelzimmer strahlen noch in königlichem Rot, auch wenn die Farbe das Werk wuchernder Flechten ist. Manche Holzsplitter wollen noch an das ausgesuchte Inventar erinnern und grüne Scherben an den Duft eines edlen Flakons. Und zischt im Kaminfeuer des barocken Dinning Rooms nicht auch noch das feuchte Holz aus dem naheliegenden Dschungel, der wie eine dunkle Welle das steile Kliff empor kriecht?

Die riesige Sonnenterrasse vor dem Casino öffnet sich noch immer hin zum Meer. Und es nicht der plötzlich einfallende Hochnebel, sondern der Fremdenführer, der uns zuraunt, dass in so mancher Nacht einst, die verzweifelten Verlierer im Spiel um das große Geld bis an das Kliff gerannt und in den Tod die 1000 Meter hinunter gesprungen sind.

Die Hillstation befindet sich am südlichen Ende der Elephant Mountains. Die Straße hinauf nach Bokor Mountain wird gebaut, da das gesamte Areal an den kambodschanischen Milliardär Sokimex verkauft wurde. Ein gigantischer Casinokomplex soll hier bis 2015 entstehen, und damit ein High-End Resort für betuchte Touristen aus Japan, China, Korea und Australien. Noch liegt die ehemalige „Krone der kambodschanische Rivera“ im Windschatten der Zeit. Umgeben vom Bokor Nationalpark, der noch wilde Elefanten, Tiger und Leoparden beheimatet, lässt sich der Aufstieg in der trockenen Jahreszeit in beeindruckender Weise mit dem Abenteuer „Dschungel“ verbinden. Begleitete Touren durch den Dschungel hinauf zur Hillstation kosten unverschämte 40 $ pro Person. Am besten über ein billiges Guesthouse in Kampot buchen, vielleicht wird’s dann doch noch günstiger...

Samstag, 19. Dezember 2009

Wieso ich am 2. Dezember schon Weihnachten gefeiert habe...


„Schucki! Ich habe ein kleines Geschenk für dich!“ Tina legt mir einen goldenen Stern auf den Tisch und ein kleines Kuvert… „Wow, ist jetzt schon Weihnachten?“ frage ich. Es ist der 1. Dezember in Phnom Penh. Ich fasse den Stern aus hauchdünnem Metallglas an. „Ach schön! Und was ist hier drin?“ Ich nehme das Kuvert in die Hand. „Wow, wow, ein Berliner Adventskalender!!!“ Tina lacht. „Tina, du bist ein richtiger Schatz! Mensch, wo hast du denn das Zeug her????“ „Sag ich nicht!“ Tina redet ja eigentlich immer den ganzen Tag, aber jetzt sagt sie’s einfach nicht… Ein Adventskalender, denke ich. „Also, ich mach jetzt mal die erste Tür auf, darf ich?“ „Klar, ist ja schon der erste Dezember!“ Das Suchen dauert eine Ewigkeit, dann finde ich die 1 oben im in der Spitze der Tanne versteckt, rechts neben dem verschneiten Brandenburger Tor… Und auf die Tür. Und beide im Chor: „OH EIN ADVENTSSTERN“ Ach Schade eigentlich, dass der nicht aus Schokolade ist.


Einen Tag später.

Ich komme wie immer zur Mittagszeit nach Hause. „Li, sok sobai de?“ (Li, wie geht es dir?) Aus der Küche schallt es zurück: „Sok sobai tick tick!“ (Habe Wohlergehen ein bisschen!) „Hä? Was ist denn los?“

Li, meine kambodschanische Haushälterin, kocht Fisch mit frischem Ginger und Reis. Sie sagt, sie hätte das Esszimmer geputzt und ein bisschen dekoriert und dabei sei ihr etwas ganz Schlimmes passiert. „So?“ sage ich, „was denn?“ Sie geht mit mir ins Zimmer und zeigt mir den goldenen Stern. „Ach, der ist ja kaputt!“ sage ich, „Ja… ich habe den Tisch abgeputzt und dabei den Stern mit dem Wedel erwischt …!“ Ich grinse in mich hinein… „Macht nix!“

„Bastian, es tut mir schrecklich leid!“ „Li, das macht wirklich nichts!“ „Nein, ich bin so ein Dussel!“ Li, kein Problem, echt nicht!“ „Ich kaufe einen neuen!“ „Nein brauchst du nicht, die gibt es auch in nicht in Kambodscha!“ Li wirkt jetzt ein bisschen beruhigt. „Aber Bastian, dafür habe ich DAS HIER SCHÖN gemacht!“ Sie geht an meinen Schreibtisch und zeigt auf den Adventskalender. Ich denke, och nein, ne, ach ne, ne, ne… DAS KANN JETZT ABER WIRKLICH NICHT WAHRSEIN… ALLE TÜREN VON MEINEM KALENDER SIND SPERRANGELWEIT OFFEN! Sie schaut mich strahlend an, merkt dann aber sofort, dass das wohl keine so gute Idee war. Ich setze mich hin und nehme den Kalender in die Hand. Und während ich ihr die Geschichte vom langsamen Öffnen der Türen des Adventskalender erzähle, läuft vor meinen Augen der Film ab, wie Li gegen 10.00 h ins Haus kommt, sich die Schürze umbindet, durch die untere Wohnung streift, mit dem Wedel den goldenen Stern runter wedelt, um sich dann voller Neugier mit meinem eben entdeckten Adventskalender zu beschäftigen. Ach so viele Türchen, was wohl dahinter sein wird??? Und da gibt es ja auch die 24! Wow, da auf dem Dach des Brandenburger Tores sitzt ja Maria mit dem Jesuskind und zwei dicke Goldengel schmulen über ihre Schultern…


Fröhliche Weihnachten aus Kambodscha, kann ich euch nur wünschen und alles Gute zum neuen Jahr. Das Leben besteht aus vielen Überraschungen. Man muss nur die Türen rechtzeitig aufmachen…

Montag, 14. Dezember 2009

Ästhetik des Helfens






Hände geben, Hände verteilen, Hände empfangen


Die Kinder in der Waisenschule stehen in einer Reihe. Das kleine Mädchen blickt aufgeregt den Mönch an, der ihr erklärt, wie sie sich zu bewegen hat. Die Dezembersonne wirft Lichter durch das Blattwerk des mächtigen alten Mangobaumes, die über den Schulhof tanzen.
Der für Medianarbeit zuständige Mitarbeiter meiner NGO kniet in zwei Meter Abstand vor der 6jährigen. Sie wirkt überfordert, hilflos. Seine Fotokamera ist startbereit. Es ist eine Zeremonie. Auch ich weiß, dass auf mich meine Rolle wartet, wie auf jeden anderen. Der Direktor gibt ein Zeichen. Und los geht’s. Der australische Donar überreicht dem Mädchen eine nagelneue Schultasche und eine Schuluniform. Er strahlt das Mädchen an, und beugt sich hinunter. Glänzende Augen. Das Mädchen hat die Handflächen vor ihrer Brust zusammengelegt und bedankt sich demütig: „Thank you! Thank you!“ Die durchsichtige Zellophanverpackung knistert unschlüssig in den Händen des Kindes.

Der Australier, der Direktor und das Kind, sie stehen in einer Reihe vor der Kamera, die den Akt des caritativen Helfens für die Nachwelt fixiert. Und das 45 mal. Es ist zweifelsfrei eine Serie der guten Taten, geschossen an einem sonnigen Vormittag, in einem Elendsquartier von Phnom Penh!

Zieht man aber über die Köpfe der drei Akteure eine Linie, dann stürzt diese vom großen Australier hinunter auf den Scheitel des kambodschanischen Direktors und fällt dann schließlich hinab auf das Kind. Diese unsichtbare Linie geht an diesem Dienstag in der Waisenschule der NGO in der freudigen Grundstimmung der ca. 50 Anwesenden unter. Und doch weist diese, mit Bedeutungen verknüpfte Linie mittelbar auf eine Beziehungsästhetik, in der sich Helfer und Hilfsbedürftige nicht nur freudig, wechselseitig bestätigen, sondern auch binden. Diese schöne Linie nämlich, ist auch ein Strick. Sie hat sich um die Hände der einheimischen Empfänger gelegt, die sich dankend zusammenfalten. Sie fesselt die lokalen NGOs, die routiniert mit ihren Händen an den Türen des Reichtums anzuklopfen gelernt haben. Selbst der reiche Australier, aus der Welt des Überschusses, der schon bald wieder in sein Flugzeug steigen wird, nimmt seine Handfesseln mit. Alles ist reziprok. Hände geben, Hände verteilen, Hände empfangen. Und das seit Jahrzehnten.


Schlechtes Gewissen


Ein Volontär aus England verabschiedet sich. Er hat die Waisenkinder am dreckigen Boeung Kak See 2 Monate lang kostenlos unterrichtet. Nun sitzt er auf dem Ledersofa in der Lobby und hat Kekse und Schokolade mitgebracht. Meine kambodschanischen Kollegen haben eine Karte geschrieben und sich herzergreifend bedankt. Gelernt ist gelernt! Das in der Eile des Abschieds nicht mehr Zeit war, eine neue Karte zu schreiben, weil im Eifer des Gefechts, das englische „From the bottom of our hearts…!“ in Verwechslung geriet mit dem „From the heart of our bottom…“ hat noch einmal zur allgemeinen Belustigung beigetragen.

Später sitzen wir allein. Wir reden und ich frage ihn, wie es ihm geht. Er räuspert sich und sagt dann leise, dass er das alles hier sehr gut, sehr richtig fand. Nur, meint er, bliebe ein seltsames Gefühl. Er fühle sich ein wenig beschämt, weil er den Kindern nur 2 Monate kostenlos Englisch Unterricht erteilen konnte. Andere Volontäre, so wurde ihm mehrmals - natürlich indirekt - zu Verstehen gegeben, andere hätten darüber hinaus, noch Sachspenden dagelassen, Spielzeug, Lehrbücher oder Geld. Aber er habe kein Stipendium bekommen, und den Flug, die Miete, Essen, Unterhalt selbst aufbringen müssen. Ich sehe ihn verdutzt an. Kein Geld verdienen und anderen helfen, wie kann es sein, dass man sich danach schlecht fühlt? Doch meine Gedanken ziehen schon weiter, hinein die Welt meiner Kollegen. Ich sehe die Linien ihrer Erwartungen. Wir brauchen doch immer noch viel, viel mehr…


Geben, Geben, Geben!


Kambodscha ist Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Bis heute hat Deutschland Kambodscha mit rund 224 Millionen Euro unterstützt. Für die Jahre 2007/2008 sagte die deutsche Bundesregierung insgesamt 34 Millionen Euro an technischer und finanzieller Zusammenarbeit zu. Da Kambodscha zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehört, erhält es ausschließlich Zuschüsse. Mehr als 50 Prozent des Staatshaushaltes werden von ausländischen Gebern finanziert. Kambodscha hängt am Tropf!

Und da das Land nach 30 Jahre Bürgerkrieg und Genozid am Boden lag,

bemühte sich die internationale Staatengemeinschaft, das Land wieder aufzubauen. Straßen, Häuser, Brücken, Schulen, Krankenhäuser, Lebensmittel, Medikamente. Wiederherstellen, Aufbauen und Gesundmachen, das waren die gutgemeinten Absichten des Gebens. Dabei war die Entwicklungshilfe fast ausschließlich technisch angelegt. Waren wurden verteilt, Infrastruktur wurde gebaut. Doch durch diese Art der Entwicklungshilfe wurde nicht nur recht erfolgreich eine Infrastruktur erbaut, sondern zeitgleich auch ein bestimmter Habitus, ein besonderes Beziehungsgeflecht errichtet. Hier diejenigen, die Haben und Geben, dort die, die empfangen und nehmen. Es wundert nicht, dass

Entwicklung in diesem System von den meisten Beteiligten verstanden wird als ein Prozess von einem Zustand, nichts haben zu einem, Dinge, Güter, Ressourcen zu haben. Selbst der ideele Transfer von Bildung und Wissen, reproduziert die beiden Extreme, sieht hier Menschen, die keine bauchbaren Kenntnisse haben und dort solche, die Knowhow vermitteln, weil sie viel Wissen haben, was besonders die partizipatorisch arbeitenden westlichen Trainer irritiert. Da stehen sie also vorn und mit besten pädagogischen Absichten und sehen sich Kambodschanern gegenüber, die getreu dieser extremen Beziehungslogik unterrichtet werden wollen. Du bist der Sender und wir die Empfänger, das ist doch schon seit langem so. Sagte nicht unlängst ein kambodschanischer Student zu seinem westlichen Prof: „I pay the money to have you as my teacher, so why do I need to think and contribute my ideas? I pay to get the knowledge from you!


Helfen ist mehr!


Ich will jetzt nicht den Titel des in die Jahre kommenden philosophischen Bestsellers „Haben oder Sein!“ bemühen, doch in gewisser Weise geht es genau darum. Auf kambodschanischer Seite ließe sich die Abhängigkeitsbeziehung zum Westen so formulieren: Wie müssen wir eigentlich sein, um etwas aus dem Westen zu haben (bekommen)? Der Westen anderseits steht vor der Frage, was müssen die Kambodschaner haben, um endlich selbstständig zu sein?

Das Vertrackte daran ist, dass mit jedem Akt des Helfens verstanden als Geben und Nehmen, auf kambodschanischer Seite eine Geste der Dankbarkeit ausgelöst wird, die dafür sorgt, das auch Morgen und Übermorgen noch gegeben wird. Das Serielle des Gebens macht nicht nur dankbar, sondern auch abhängig! Es ist eine Narkose, die noch lange wirkt.

Schon immer hat der Buddhismus dafür gesorgt, dass die Mächtigen gute Gründe fanden, Dinge zu geben, die die Armen brauchen. Ja mehr noch, dieser Kreislauf des Helfens ist der unangefochtene Weg, gutes Karma zu sammeln. Wer fiel gibt, hat bessere Chancen aus dem karmischen Kreislauf der Widergeburten auszuscheiden, und im Nirwana zu verwehen. Und auch wenn im Nirwana das Anhaften an den Dingen überwunden ist, an der strukturell ungerechten Ökonomie, die unterhalb des caritativen Akts liegt, ändert sich nichts.

Doch auch wenn sich das Buddhistische Rad des Schicksals weiterdreht, es ist den Akteuren erlaubt, über ihre latente Komplizenschaft nachzudenken, über ihre Reziprozität von arm und reich, Osten und Westen, die durch das Helfen angefeuert wird.

Dabei kann Helfen weit mehr sein, als Dinge zu geben. Es ist Zeit, sich Gedanken zu machen, Diskurse anzuzetteln, darüber, welche Beziehungen eingegangen werden und welche Abhängigkeiten sich zementieren. Wer wirklich helfen will, muss Verteilungsprozesse besser verstehen und deren Konsequenzen.

In unserer Welt gab es Geschenke noch nie umsonst.