Mittwoch, 24. Februar 2010

Männer






Seine Hand liegt warm auf meiner Hand. Er raucht. Langsam zieht er an seiner Zigarette, während der Sicherheitsguard uns gegenüber gelangweilt in einer Zeitung blättert. Er erzählt von der Krankheit seiner Frau. Ich höre dem Direktor zu, es ist nicht wichtig, etwas zu sagen. Durch die beiläufige Berührung unserer Hände, durch die warme Feuchte der Haut gibt es eine Nähe, die Worte nicht schaffen. Männer in Kambodscha kann man anfassen. Man kann sie sogar ganz lange anfassen. In einer mir völlig unbekannten Natürlichkeit gehören Berührungen in den kambodschanischen Alltag der gleichgeschlechtlichen Kommunikation. Berührungen von Vorgesetzten zu Untergebenen, Körperkontakt von älteren zu jüngeren. Dank einer Berührung laufen auch meine monetären Verhandlungen mit Tuk-Tuk-Fahrern, Guesthousebesitzern oder männlichen Verkäufern wie geschmiert.

Unter Männern gibt es fast keine Ausnahmen. Selbst ein buddhistischer Mönch, der mir von einer ärztlichen Konsultation berichtet, nachdem er mehrere Tage Kopfschmerzen hatte, legt seinen Arm auf den meinen. Und mein Arm liegt auf dem Tisch. Der Arzt, so der Mönch, hätte sich unter anderem auch nach seiner letzten Ejakulation erkundigt. Ich horche erstaunt auf! Wieso haben Kopfschmerzen mit Samenerguss zu tun? „Ja Bruder, der Arzt hat mich gefragt, ob ich mir selbst auch Freude bereite, aber das ist mir als Mönch ja verboten. Doch wenn es kommt, einfach so im Traum, weil ich an eine schöne Frau denke, dann will es die Natur so, kein Problem!“

Wenn sich Männer in Kambodscha berühren, sind sie, anders als in westlichen Gesellschaften nicht dem Verdacht ausgesetzt, dass sie sich vielleicht zu gern haben könnten. Schon allein der Gedanke, sie könnten Anstoß erregen, erscheint anstößig. Sie sind Freunde, sie haben sich gern. Sie sind normal, denn das Unnormale gibt es nicht. Schamgefühle entstehen erst, wenn es Identität gibt, die sich aus Abweichung konstruiert. Aber wo es in der öffentlichen Kultur keine in den Diskurs geratene, abweichende Identität gibt, noch nicht – denn die westlich geprägte Emanzipation schreitet auch hier voran – können sich kambodschanische Männer noch mit großer Wärme als Gemeinschaft fühlen, sich ihre Zuneigung zeigen, die natürlich eine Grenze hat.

Traditionelle Kulturen erscheinen uns Westlern wunderbar natürlich und unglaublich warm. Und doch gilt die hier legitime, beschriebene Welt der Berührungen nur für das gleiche Geschlecht Die öffentliche Darstellung desselben Verhaltens, Frauen gegenüber, ist in Kambodscha fast immer noch Tabu. Die Grenzen sind scharf gezogen. Und ein sich in der Öffentlichkeit küssendes Paar steht hier schnell im moralisch bedenklichen Niemandsland. Es ist genauso undenkbar, dass ein junger Mann zuerst einen älteren anfasst, oder ein Statusniederer einen Höherstehenden. Es herzen sich Statusgleiche oder die Berührung kommt von oben!


Am Strand laufen zwei junge Männer Hand in Hand. Sie unterhalten sich, lachen und springen, jagen mit dem Wind und den Wellen über den weißen Sand. Im Strandcafe sitzt ein Kambodschaner auf den Schenkeln eines Freundes, und sie sehen zu, minutenlang. Männer in Kambodscha trinken zusammen, im Überlandbus legen sie ihre Köpfe aneinander, schlafen im selben Bett, Männer in Kambodscha tanzen miteinander und das stundenlang.


Lege ich meinen Arm auf die Schulter eines Freundes aus Frankreich, wird dieser so schwer. Als wollte mein Arm mich erinnern, an die Verhaltensregeln der Weißen, unsere geliebte Freiheit und ihre bleischwere Kultur der Distanz.

Mittwoch, 10. Februar 2010

Die Lodge am Ende der Welt!






Das Ende der Welt liegt bei Koh Kong. Vermint wurden die Berge von den Khmer Rouge vor 30 Jahren, seitdem wurden die Wälder vergessen, über die jeden Morgen Nebel zieht. Die Mörder von einst haben in den Kardamom Mountains so unbeabsichtigt den größten zusammenhängenden Dschungel Südostasiens hinterlassen. Die vier Flüsse hier sind so klar, als wollten sich die Menschen noch einmal in ihrer Hoffnung spiegeln, dass diese Welt noch nicht verloren ist. Doch die Strömung ändert sich.

Bevor Hun Sen, Premierminister von Kambodscha, in aller Öffentlichkeit verkünden wird, die Kardamom Mountains zum Powerhouse Kambodschas zu machen, und Verträge mit chinesischen Investoren unterschreibt, beschließt eine 42 jährige Rechtsanwältin aus Birmingham, ihren Traum von einer Öko-Lodge am Fuße der Kardamom Berge zu verwirklichen. Sie eröffnet die Lodge mit 8 Bungalows vor zwei Jahren. Solarstrom, Komposthaufen, Recycling, biologische Abwasserbereinigung, und eine naturbelassene Wiese für tropische Schmetterlinge setzen ein Fanal, das es in Kambodscha auch anders gehen kann. Es ist ein sehr mühsamer Weg! Denn nicht nur der Dschungel greift jeden Tag gierig nach dem Anwesen, zerrt an den palmblattgedeckten Hütten, schickt feuchte Hitze und stockende Feuchte in die Gästezimmer, und färbt die Tücher braun, sondern auch die Pläne der Regierung dämmen die Aussichten.

Die vier Flüsse sollen bezwungen werden. 4000 chinesische Staudammarbeiter werden kommen und mit ihnen viel chinesisches Geld. Hoch in den Bergen soll das Wasser gestaut werden. Aufgehalten, im Land der Hinnahme, das den Protest nicht kennt. Dort, wo die letzten 200 wilden siamesischen Krokodile leben, wo es noch indochinesische Tiger gibt und asiatische Elefanten, dort wo der Dschungel in seiner ganzen, wilden Maßlosigkeit noch über sich selbst triumphiert, werden sich bald nur noch riesige Turbinen drehen.

Das Thermometer steigt über 30 Grad. Schweißperlen glitzern im Nacken des vor uns laufenden Mannes. Er hat die Ruhe weg, wie die meisten Asiaten, die sich eine gewisse Ursprünglichkeit bewahrt haben. Federnd, fast geräuschlos schreitet er vor uns mit seinem scharfgeschliffenen Messer. Er schlägt den Pfad frei. Das grüne und braunsatte Dickicht weicht seinen Schlägen aus.

Der Dschungel ist voller Geräusche. Vögel schreien auf, das Unterholz knackt und unter unseren Füßen raschelnde Blätter wie in einem viel zu trockenem Herbst. Es ist, als würden uns 1000 Augen beobachten, doch im Dickicht sehen wir die Tiere nicht!

Alarm der Sinne. Alles ist fremd, alles ächzt, knistert und rauscht. Der Dschungel dringt in uns ein. Spitze, angebrochene Bambusstangen kratzen an den Hosen, fingerlange Dornen peitschen an Zweigen federnd hoch, und Spinnfäden kriechen über das Gesicht.

Ein Blutegel findet seinen Weg, völlig schmerzlos, doch ein rotes Rinnsal am Bein verrät ihn. Schüttele ihn ab, den blutbraunen Wurm. Nur nicht stehenbleiben, nur nicht dem Dschungel Zeit geben, an den Beinen hochzukriechen.

Es gibt keine Distanz im Wald, keinen freien Blick nirgends, es ist alles ganz nahe. Klettern und wahrnehmen, wo wir uns festhalten können, sich bücken oder zur Seite springen, in jedem Fall dranbleiben am Guide, der sich so vertraut durch den Dschungel windet wie ein Tier.

Und immer auf der Wacht vor Schlangen, Blutegeln, Echsen, Spinnen und anderem Getier. Und immer mit der Hoffnung, einen selten Vogel oder einen in den Baumkronen springenden Affen zu erspähen, wenn das Dickicht mal den Himmel freigibt. Vergebens. Der Dschungel ist scheu.

Nach zwei Stunden erreichen wir den Tatai-Wasserfall, dessen mächtiges Rauschen selbst in der Trockenzeit durch den Dschungel dringt. Warmes Süßwasser stürzt Steintreppen hinunter, staut sich in graubraunen Felsbassins, in denen wir unsere verschwitzten Körper und unsere aufgepeitschten Sinne kühlen.

Heiter wird nun der Nachmittag. Der Kambodschaner schwimmt im Wasser. Er hat sich wie immer zum Baden nicht ausgezogen. Und sein 10jähriger Sohn hat ein blaues Kajak gebracht, das so heiter leuchtet wie ein Sonntagsausflug.

Und zurück geht’s zur Lodge. Vorbei an satten Dschungelhängen, die jetzt schweigen, über Flussarme, die erst süß und dann nach Salz schmecken. Nach der Ebbe kommt die Flut und mit der Flut kommt das Meer zurück.


Noch kann man in der Rainbow-Lodge nach einem, mit frischen Limetten und Bombay Saphire angemachten Gin-Tonic, gedünsteten Muscheln, in Mango Sud gebratenen Schweinsrippchen, karamellisierten Fruchtstücken und in Kokosraspeln gebackenen Bananen so zufrieden ins Bett gehen, als wäre man zwar nicht am Ende der Welt, doch am Ende eines absolut gelungenen Tages angekommen.

Wäre da nicht das Gefühl, in der ersten Klasse der Titanic zu sitzen und gewissermaßen auf eine der größten Naturuntergänge Südostasiens zuzusteuern…

http://www.rainbowlodgecambodia.com