Samstag, 27. März 2010

Gérad, die Affen sind jetzt umgezogen!



Li, die seit zwei Jahren auf mein Haus aufpasst, beichtete vor zwei Monaten schon in der Küche, sie hätte einen weiteren Job angenommen. Mit allem rechnend, nur nicht mit meinem Verständnis, erzählte sie mir, sie würde jetzt immer morgens, bevor sie zu mir kommt, in einem französischen Haus, Essen kochen… Dort, so sagte sie, gäbe es eine Madame, eine Französin kambodschanischer Abstammung. Und ein kleines Kind. Für mich war das sofort in Ordnung, durfte ich doch hoffen, dass die chronisch blanke Li, neben mir, endlich eine weitere Einnahmequelle aufgetan hat.

Zwei Wochen später kommen weitere Neuigkeiten ans Licht. Der Ehemann der Madame wird bald aus Frankreich zu Besuch kommen. Und dieser sei berühmt, sagte mir Li, ohne dass ich gesondertes Interesse zeigte. „Du hast sogar einen Film mit ihm, Bastian!“ Li – um ihren Argument Nachdruck zu verleihen – tänzelt zum Fernseher, um in meiner Videosammlung zu suchen. Triumphierend kommt sie zurück und hält meinen kambodschanischen Lieblingsfilm in den Händen: „City of Ghosts!“ Ach was, jetzt werde ich doch ziemlich neugierig! „Hier ist der Ehemann!“ Li zeigt mit dem Finger auf Gérad Depardieu! „Ich finde“ – sagt sie, „ihr solltet euch kennenlernen!“

Gérad Depardieu sitzt jetzt neben mir. Den ganzen Tag schon hat Li telefoniert. Früh hieß, ich sollte jetzt sofort in Phnom Penh’s Grandhotel Le Royal kommen. Dort nähme die Familie gerade Frühstück zu sich… Ich sage nur, „ Li ich kann nicht, ich habe Board-Meeting bis um 13.00 h“. „Kein Problem Bastian, dann am Nachmittag!“ Ich rufe nach 13.00 h sofort zurück… „Ja, jetzt sind wir gerade im Restaurant Le Libon, kennst du das?“ „Ja, das ist das mit den grotesken Springbrunnen und den libanesischen Bauchtänzerinnen“ „Ja, gut, dann hier um 3.00pm!“ Li legt auf, im Hintergrund Gelächter. 10 Minuten später ruft Li wieder an, ich stehe gerade unter der Dusche. „Kannst du jetzt kommen?“ „Jetzt?“ „Ja, Madam ist so müde!“ „Okay, ich bin in 10 Minuten da….

Wenn man als No-Name auf einen Superstar trifft, dann trifft man diesen nie allein! Mir war schon gleich die Lust vergangen, als ich völlig verschwitzt im Le Libon eintraf, nur um dem französischen Eigentümer in die Hände zu laufen, der, obwohl er weiß, dass ich so gut wie kein Wort Französisch spreche, sich weitschweifig nach meinem Befinden zu erkundigen versucht. Er schiebt mich in einen halbdunklen Saal, in dem 15 Personen tafeln. Alles Franzosen, und zwar von der Sorte, dass man, selbst wenn man als Deutscher fließend französisch spricht, nur müde wegen seines Akzents belächelt würde. Glücklicherweise steht die Madame gleich auf, und stellt mich allen vor! Sie nimmt mich an die Hand und flüstert verschmitzt, sie hätte ja schon so viel von mir gehört. Ja denke ich mir nur, die Li, die Gute, die erzählt einfach ganz gerne. Als sie mich neben ihrem Gatten platziert, sieht dieser mich sogar völlig freundlich an… „Gérad“ sage ich, und denke gar nicht mehr daran, dass mir einer der Giganten des französischen Films gegenübersitzt, „Gérad, die Affen sind jetzt umgezogen!“ Depardieu lacht, und versteht natürlich gar nichts. Ich erkläre ihm, dass in seinem Film (oh, ich habe tatsächlich vergessen, dass dieser Mann weit über 100 gemacht hat), in seinem Film City of Ghosts – „Ja, den haben wir hier in Phnom Penh gemacht!“ „Ja, natürlich… dass da an der alten Hauptpost doch ein Affe dem Matt Dillon die Brille geklaut hat!“ „Im Film natürlich!“ Gérad schaut ungläubig. „Ja und du hast doch damals im Film gesagt, hier gebe es keinen Affen!“ Was ja nicht stimmt, denn es wimmelt von Affen an der Hauptpost. Und dass diese Affen jetzt umgezogen sind. Depardieu legt mir geschnittene Mangos auf meinen Teller. Und ich erzähle aufgeregt weiter, schließlich lauschen mittlerweile alle Anwesenden am Tisch meinem stockenden Report, die Affen von der Hauptpost sind jetzt nach Süden gewandert, also hier in die Nähe vom Restaurant. „So…“ Depardieu scheint sich etwas unsicher, ob es Sinn macht, mit mir weiter über Affen zu reden, oder lieber mit seinen französischen Bekannten über…
“Eine Freundin von mir, eine Deutsche nämlich, ist bekannt für ihre mörderische Pünktlichkeit“, sage ich, und schiebe mir eine Mango in den Mund. „Und die kam neulich das erste Mal zu spät!“ Depardieu erkundigt sich amüsiert, welcher Affe ihr denn über den Weg gelaufen sein muss. Und ich jubel und sage, „Richtig!“ „Sie machte nämlich ihre Haustür auf, nur um einen völlig aggressiven Affenweibchen gegenüberzustehen. Das Weibchen fauchte und fletschte mit den Zähnen, dass die arme Tina vor Schreck die Türe sofort wieder zugeknallt hat. Depardieu lacht und sagt, deine Freundin hat sich dann wohl nicht mehr raus getraut. „Ja genau, es hat eine halbe Stunde gedauert, erst hat sie dem Affen die Hälfte ihres Hausrats an den Kopf geworfen, was diesen nur noch aggressiver gemacht hat. Dann kam ihr die erfrischende Idee, den Affen mit einem Eimer Wasser zu bespritzen. Und das war die Rettung, das zottlige Monster trollte sich begossen von dannen… Und Tina kam das erste Mal zu spät!“ Die Gesellschaft lacht, sie können nämlich doch Englisch, die Franzosen von heute!


Fotos: Gérade Depardieu mit Frau, Li und meiner Wenigkeit!

Dienstag, 23. März 2010

Lunchtime in Kambodscha






„Hey du, es ist zu warm draußen!“ Die blausilberne Fliege, die ich gerade von meiner Wange verscheucht habe, summt aufgeregt von dannen. „Es ist zu warm, komm doch hier rein!“ Ich drehe mich um. Ein junger Mann lehnt sich aus dem offenen Fenster der alten Pagode in Siem Reap. Er lacht und kämmt sich dann langsam sein schwarzes Haar und blickt abwechselnd in einen kleinen Fahrradspiegel und dann wieder zu mir. „Wirklich. Hier gibt es auch ein Bett!“ Ich überlege kurz. Ein zweiter Junge taucht im Fenster auf, und gähnt müde, bevor auch er sich mit dem gleichen Kamm die Haare kämmt. Sie grinsen, weil ich zögere. Es ist kurz nach 12.00 h mittags und ich habe eigentlich zwei Stunden Zeit, bevor ich wieder ins Büro muss. „Gibt es da drinnen bei euch Mücken?“ frage ich. „Oh ja, sehr viele sogar!“ „Nein danke, “ entgegne ich keck, „dann bleibe ich hier lieber auf der Bank sitzen!“ Die Jungen schütteln verständnislos den Kopf. „Auf deiner Bank kommt gleich die Sonne durch!“ Und wirklich, rechts neben mir stöhnt bereits der Stein in der Hitze des Mittags. Eine leichte Brise weht durch die Palme, die ohnehin nur einen mageren Schatten spendet. Und obwohl ich mich in ihrem Schatten seit Minuten nicht bewegt habe, läuft mir brennend der Schweiß von der Stirn.

Es ist Lunchtime. Kambodscha schläft im Schatten der tropischen Sonne. Ein ganzes Land macht die Augen zu. Tuk-Tuk-Fahrer legen sich auf dem Rücksitz nieder, Mopedfahrer liegen auf dem Sitz, während ihre Beine akrobatisch über dem Lenker hängen, und Straßenverkäufer schlafen auf Plastikstühlen ein. In den Büros der Städte drehen sich riesige Ventilatoren, während auf den Sofas und Sesseln darunter ganze Belegschaften wegdämmern, immer den Bauch des Nachbarn oder seine Schulter als ein zusätzliches Kissen nutzend. In den Rezeptionen liegen Köpfe auf dem Empfangstresen. Und Telefone klingeln manchmal endlos lang…
Auch wenn die Geschäfte durchgehend offen haben, in der Mittagszeit tritt man in eine gähnende Leere. Man muss oft ein wenig warten, oder sich räuspern, bis irgendwo im Raum ein verschlafendes Gesicht auftaucht. Und es ist die Natürlichkeit des Erwachens aus einem tiefen Schlaf, die verrät, dass in diesem Land nichts selbstverständlicher ist, als in den Stunden der größten Hitze zu schlafen. Für Männer scheint darüber hinaus nichts normaler zu sein, als sich im Büro oder im Geschäft, das Hemd auszuziehen und mit freiem Oberkörper zu schlummern, nur um nach zwei Uhr wieder zu dem gewohnten und durchaus konservativen Dress-Code zurückzukehren.
Mit der Lunchzeit bewahren sich Kambodschaner ihre alte Zeit. Auch wenn moderne Häuser in die Höhe wachsen, und aus dem neuen Wohlstand der Mittelschicht die Klimaanlage nicht mehr wegzudenken ist, die heißesten Stunden des Tages kündigen sich noch überall mit einem Gähnen an, und die schrägen Augen fallen zu.

Die beiden Jungen in der Pagode hinter mir sind aus der Fensteröffnung verschwunden. Ich stehe auf und gehe hinein. Sie liegen auf einem steinernen Podest und sind eingeschlafen. Ein heißer Wind zieht durch die Halle. Selbst der goldene Buddha lächelt leise und hält versonnen seine Augen zu.


Fotos: Schlafender alter Mönch in Battambang, die beiden schlafenden Jungen aus Siem Reap, ein blinzelnder Tuk-Tuk-Fahrer in Angkor Wat, ein Mopedfahrer vor meinem Haus in Phnom Penh und eine Schuh-Reparateurin auf einer Hauptstraße in Phnom Penh.

Sonntag, 21. März 2010

Im Land der großen Tabletten


In der kambodschanischen Arztpraxis in der Nähe von Phnom Penhs größtem Markt, Orussey, sitzen Patienten auf einer Stuhlreihe, wie fast überall auf der Welt. Sie sitzen mit dem Rücken zur Wand. Ihr Blick ist leer. Doch die lautlose Leere täuscht nicht über die Verletzlichkeit hinweg, die durch den Körper kriecht. Die durch den Magen schleicht, und in der erzwungenen Stille knurrt.

Ein junger Mann schiebt sich mit dem Verkehrslärm der Straße hinein. Er setzt sich auf den einzigen freien Stuhl, grußlos neben mich. Wenn Angst einen Geruch hat, dann strömt dieser von ihm aus, um sich gleich mit dem im Raum wabernden Desinfektionsmittelduft zu mischen und in diesem zu verschwinden.

Die Wartenden lesen keine „So-bleiben-Sie-gesund!“ – Journale, die sonst

wie fast überall in den Wartesälen der Welt, das bedrückende Ausharren verkürzen. Die kambodschanische Arztpraxis reduziert sich auf sich selbst: Warten, Drankommen, Behandelt werden, weggehen! Sie ist so pur, dass in den meisten Fällen auf eine räumliche Trennung zwischen Behandlungsraum und Wartezimmer verzichtet wird. Lediglich vor Entblößung wird durch einen Vorhang geschützt. Die schwangere Mutter mit ihrem jungen Kind, die jetzt dran ist, wird vor allen Augen behandelt. Sie krempelt ihren Ärmel hoch, der Arzt sucht ihre Adern und sticht mit der Kanüle hinein. Es ist nicht die Mutter, sondern das Kind, das jetzt schreit.

Es ist überhaupt zum Schreien in Kambodscha, wenn man krank wird.

Krankwerden ist in Kambodscha die Haupursache für Verarmung. Es gibt keine staatliche Krankenversicherung, und es ist auch keine in Sicht, wenn auch erste Projekte für eine kommunale Krankenversicherung gerade angeschoben werden. http://www.gtz.de/en/weltweit/asien-pazifik/27710.htm

Jede Behandlung beim Arzt wird sofort bezahlt. Bauern verkaufen ihr Land, um Krankenhauskosten zu bezahlen, andere borgen sich Geld und wissen nicht, ob sie die Schulden je zurück bezahlen können. Verursachen Kambodschaner einen Unfall, bleibt der Verletzte in der Regel auf der Straße liegen. Flüchten ist allemal billiger als Behandlungskosten zu bezahlen. Und der Verletzte ist umso mehr verletzt.

Gehen Kambodschaner zum Arzt, haben sie Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse klar zu äußern. Man sagt, sie hätten einfach überhaupt keine Vorstellungen davon, was und wie man ihnen helfen könnte. In ihrer Not erwarten sie in der Regel vom Arzt schnelle Lösungen, sprich Tabletten gegen die Krankheit, auch wenn oft gar keine Tablette hilft. Ein „ guter“ Arzt sieht sich so oft gezwungen, besonders große und möglichst viele Tabletten zu verschreiben, weil nur diese helfen können. Und der Irrglaube nimmt noch bizarrere Formen an. Kranke Kambodschaner glauben an den Schlauch! Besucher, die das erste Mal in Phnom Penh sind, fragen sich so auch nicht grundlos, ob hier gerade ein Krankenhaus evakuiert wurde, weil viele Kambodschaner mit angeschlossenen Infusionsgeräten auf dem Moped sitzen und leidend durch die Stadt kutschieren.

Tablettenglaube und Unwissenheit führen in schöner Regelmäßigkeit dazu, dass bei leichten Erkältungen schwere Antibiotika genommen werden, und das in Kambodscha mehr Babys an einer Paracetamolvergiftung sterben als an Infektionskrankheiten.

Ein NGO Direktor – so wurde mir unlängst berichtet – tanzte nach einem Festessen, das allen auf den Magen geschlagen war, die Reihen entlang, und verteilte jedem Anwesenden eine Fasigyn-Tablette gegen Darmparasiten, die, um wirksam zu sein, eigentlich in einem 10-Tage-Regime eingenommen werden müsste. Eigentlich!

Aber in den Apotheken ist ohnehin alles erhältlich. Die Rezeptpflicht gibt es nur auf dem Papier. In Europa nicht zugelassene Medikamente, süchtig machende Schmerzmittel oder Schlankmacher zum Beispiel, werden ohne mit der Wimper zucken über den Tresen gereicht. In Indien nachgebaute Viagra gibt für 0,35 US Cent das Stück. Und wenn die eine Tablette nicht hilft, probiert man eben die andere aus… In Kambodscha kauft man ja selten gleich eine ganze Packung Tabletten, sondern man kauft eben 3 oder 4 Pillen. Was dazu führt, dass man die Apotheke immer mit einer kleinen Plastiktüte verlässt, voll von verschiedenen Drogen, doch immer ohne Beipackzettel. Je wilder die Mischung, desto stärker der Glaube, genau die richtige Wahl getroffen zu haben…

Die fehlende gesundheitliche Aufklärung in Kambodscha hat Gründe:

Von den 600, 1975 in Kambodscha praktizierenden Ärzten, haben nur 50 den Khmer Rouge Terror überlebt. Pol Pot hat nicht nur Millionen Kambodschaner auf dem Gewissen, sondern auch das gesamte Gesundheitssystem. So ist die Lebenserwartung der Kambodschaner mit 59 Jahren eine der niedrigsten in Asien. Die hohe Muttersterblichkeit ist selbst der Regierung aufgefallen, die seit kurzem Voruntersuchungen von Schwangeren vorgeschrieben hat. Natürlich gibt es in vielen ländlichen Regionen gar keine Gesundheitszentren, so dass nicht nur die Voruntersuchungen auf der langen Strecke zum Hospital liegen bleiben.

Ein weiteres Übel: „Under table paiment“! Nicht selten wird von Patienten eine zusätzliche Schmiergebühr erwartet, um überhaupt einen Doktor zu Gesicht zu bekommen. Das medizinische Personal ist in Kambodscha chronisch unterbezahlt, mit Ausnahme der Ärzte, die in den Kliniken arbeiten, die von zahlungskräftigen Ausländern und reichen Kambodschanern aufgesucht werden.

Orte, die ganz anders aussehen, als die kambodschanische Arztpraxis in der Nähe vom Orussey Markt, in der ich 14, 15mal nun von Stuhl zu Stuhl gerutscht bin und mir – soweit mein Verständnis reicht – Krankheitsgeschichten der kambodschanischen Patienten angehört habe. Ich bin den Menschen näher gekommen, und näher dem Arzt. Jetzt bin ich dran. Ich reiche ihm meine Registriernummer, um mein HIV-Testergebnis abzuholen. Der Arzt zieht einen Zettel aus dem Kasten: „At mien HIV de!“ (Nicht haben HIV). Das macht dann 6.000 Riel (1 €). Ich zahle erleichtert. Der Arzt sieht mich erschöpft, doch freundlich an. Und das Geld legt man in dieser Praxis glücklicherweise auf den Tisch!


Der HIV Test wird in Kambodscha noch bis Ende 2011 durch internationale AIDS Fonds subventioniert. 1 Euro ist damit die reale an den Arzt zu entrichtende Gebühr.