Samstag, 18. Oktober 2008

Landminen für Preah Vihear?


Das Board Meeting in der NGO sollte eigentlich schon längst angefangen haben. Der Direktor schlendert aufgeregt im Hof herum. Auf der Straße rollte ein Händlerwagen vorbei. Aus dem kleinen Lautsprecher schallt laut „MOAN“, „MOAN“ (Eier, Eier). Es hört sich an als würde ein kranker Kater mautzen. Nicht gerade appetitanregend. Wie auch die Eier selbst, die aufgeplatzt sind und aus denen das gekochte Eigelb grinst, wie der kleine Stoffzipfel aus den Drei Haselnüssen von Aschenbrödel. Es ist halb eins. Lunchzeit. Und in Kambodscha brütet die Sonne vor sich hin. Auf dem langen Konferenztisch langweilen sich kleine Wasserflaschen und irgendwo bleibt eine Uhr stehen. Ich vertreibe mir die Zeit wartend auf dem riesigen Balkon im ersten Stock.

„Hast du schon gehört, dass uns gestern Nacht die Thais angegriffen haben? Retiü, der Abteilungsleiter Finanzen, kommt langsam auf mich zu. „Ja! Habe ich gehört!“ „Oh, das ist schlimm. Sie wollen uns den Tempel Preah Vihear wegnehmen.“ Ja, die Thais, denke ich, und die Kambodschaner. Und schaue ihn fragend an.

„Sie haben zwei kambodschanische Soldaten erschossen und sind tief in unser Land eingedrungen. Es ist wieder Krieg.“

Ich schaue auf den Nachbarhof. Eine Gruppe Kambodschaner vertreibt sich die Lunchzeit, in dem sie zwei Kampfhähne aufeinander loslässt. Federn fliegen. Männer lachen. Hähne kämpfen. „Thailand will unseren Tempel. Und sie geben nicht eher Frieden, bevor sie ihn bekommen haben.“ Und die Kambodschaner schießen zurück, denke ich. „Ich bin im Krieg großgeworden. Krieg ist fruchtbar. Ich kenne das!“ Retiü, 1973 geboren, hat fast zwanzig Jahre Krieg, Genozid, Bürgerkrieg überlebt. Seit knapp 10 Jahren ist Frieden in Kambodscha. „Ja“, entgegne ich. „Es ist schlimm, doch Kambodscha hat die ganze Welt auf seiner Seite. Und das ist gut“. Und tatsächlich, der Hindutempel der Khmer aus dem 10. bis 12. Jahrhundert, wurde bereits in den 60er Jahren durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag Kambodscha zuerkannt. Und im erst Juni war es, dass die UNESCO den ungewöhnlichen Tempel in die Liste des Weltkulturerbe aufgenommen hat, als kambodschanisches Bauwerk. Damals loderte mein Handy ob der zahlreichen SMS meiner kambodschanischen Bekannten. Ob Immobilienmakler, Freunde aus meinem Hotel, Kollegen, Khmerlehrerin, Hauskeeper und Nachtvögel aus Phnom Penh, alle simsten „The Thai lost their face!" Kambodscha war im Freudentaumel und Funken des Triumphs glühten in der nationalen Seele. Ich war gerade auf dem Weg nach Bangkok und wunderte mich in dieser Metropole nur, dass meine Bekannten dort, überhaupt nichts von der Angelegenheit wussten.

„Ja, aber die Welt hilft uns nicht. Hat sie noch nie gemacht. Und gegen die Thais können wir uns nur allein helfen.“ Unten auf dem Hof rollt eine weiße Limousine vor. Ein schicker Mann steigt aus und telefoniert. Der Fahrer bleibt im Wagen. „Ah, Board Member eins erscheint“, denke ich. Morokat kommt auf die Terrasse. Sie hat sich umgezogen und trägt eine weiße Bluse. Sie hat immer weiße Kleider an, wenn Gäste kommen, hat sie mir mal erzählt. Als Programmleiterin ist sie meine engste Kollegin und ich schätze sie ungeheuer. Auch sie hat alles durch.

Von Pol Pot ermordete Familienangehörige, eine tyrannische französische Familie, für die sie schon mit 10 Jahren arbeiten musste, bevor sich irgendjemand fand, der ihr ein Studium finanzierte. Jetzt sitzen wir jeden Tag zusammen und brüten darüber, wie wir die Arbeit der NGO verbessern können. Morokat ist ein Licht, ist Hoffnung und Kraft. Ich kann mir gar nicht genug ausdenken, ihre Qualitäten zu beschreiben. „Bastian, weißt du schon, dass der Direktor überlegt, unseren Workshop Ende des Monats zu verschieben?“ fragt sie mich. „Nein, wieso?“ Ehrlich gesagt fände ich das nur gut, wenn wir diesen Workshop verschieben könnten. Ich muss ihn leiten und sehe schon wieder Wochenendarbeiten auf uns zukommen, denn an eine Vorbereitungszeit hat keiner gedacht. „Die Transportkosten haben sich vervierfacht. Wir können die Reise unserer Kollegen aus Battambang und Siem Reap nicht bezahlen. Wegen Preah Vihear.“ Ich verstehe das nicht. „Ja, die Menschen aus der Tempelprovinz flüchten und haben alle Transportfahrzeuge geordert. Es herrscht jetzt Mangel an Benzin, an Fahrern, Fahrzeugen.“ Das hätte ich nicht gedacht. „Die Thais geben nicht Ruhe. Die Thais wollen Krieg!“ Morokat ist sonst an buddhistischem Umgang mit Konflikten nicht zu übertreffen. Saßen wir vor doch vor 4 Wochen an einem Samstag an einer Excel-Tabelle, in die wir mühsam 1000 Daten ein gepflegt hatten, bis sie eine dieser verrückten Excel-Formeln in Gang setze, die in Sekunden die Daten in kryptische Zeichen verwandelte. Ich war kurz davor aufzuschreien. DAS KANN JA WOHL NICHT WAHR SEIN! Atmete aber lieber tief durch und fragte scheinheilig, ob sie bitte die alten Daten wieder hervorzaubern könne. Was nicht klappte und dazu führte, dass wir, nebeneinander sitzend, minutenland schweigend in den Computer starten, eben auf die xyz-2fd Kürzel, die ich mit ungeheurem Hass betrachtete und sie plötzlich anfing, eine buddhistische Geschichte vorzulesen. Eine Geschichte von zwei Königen, die sich über den Grenzverlauf stritten, da über Nacht der Grenzfluss, an denen sich alle gewöhnt hatten, ausgetrocknet war. Eine Geschichte, deren Pointe etwa die war, dass diese beiden Reiche nur scheinbar existieren, wie alles nur Illusion ist, was uns umgibt und die Wahrheit dahinter liegt. Der Frieden. Das es nicht wert ist, ärgerlich zu werden, schlechtes Karma zu sammeln im Kampf um irdische Dinge. Sondern das wir meditierend üben sollten, loszulassen, was die beiden Könige dann auch irgendwann verstanden hatten und ich selbst auch. Loslassen, ausgetrocknete Flüsse, Königreiche und Excel-Tabellen. Und dann ganz ruhig anfing, eine neue Excel-Tabelle anzulegen.

Auch das ist Kambodscha.

„Unsere Arme hat angefangen, Landminen zu legen, um die Grenze gegen die Thais zu sichern!“ Morakat schaut mich an. Unten im Hof fährt eine zweite Limousine vor und dann eine dritte. Die Herrschaften trudeln ein. „Weißt du eigentlich, wie viele Kambodschaner schon auf kambodschanische Landminen getreten sind? frage ich sie. „Ja, aber wie können wir uns anders helfen, die Thais waren schon immer stärker.“ „Das mag sein, aber Landminen halten länger durch als Streithähne und am Ende tritt immer jemand drauf! “ Retiü und Morokat schauen mich an. Sie sind nicht böse, sie verstehen mich nur nicht. Das Meeting beginnt. Die Tagesordnung wird vorgelesen. Morokat berichtet über das letzte Jahr, der Direktor erzählt, dass wir neue Mopeds bekommen werden. Die Board Member essen Hähnchen Keulen und Weintrauben. Diese teuren Früchte gibt es in der NGO nur einmal im Jahr. Am Ende des Meetings fängt ein neues an. Es ist alles in kambodschanisch. Es ist sehr ernst. Ich versteh nur wenig. Doch es geht um den Tempel. Es geht um Preah Vihear. Er ragt auf seinem Kliff wie ein giftiger Sporn in einer langen, blutigen Geschichte. Die Gemüter sind erregt. Alles essen. Alle reden. Nur der gelbe Mönch schweigt.

Sonntag, 12. Oktober 2008

Phnom Penh Party








Der Kulturtheoretiker Theodor W. Adorno hat mit Blick auf seine Erfahrungen in den USA vor 60 Jahren gesagt, die Kultur des Kapitalismus würde alles mit Ähnlichkeit erschlagen. Das gilt besonders für den Spätkapitalismus, wobei das Wort „Spät“ heute ja einen ganzen anderen Sound hat. Die alternativen sozialistischen Gesellschaftsysteme hatten weltweit ja schon in den 80er Jahren abgewirtschaftet. Eine neue politische Staatsutopie ist nicht entstanden, so kann man also schwerlich von einem SPÄTkapitalismus reden, wenn man gar nicht weis, was nach "Spät" kommt. Und wie lange das dauert. Wieso also „Spät“? Wie spät?

Es ist 23.00 h. Vor der Tür, die es nicht gibt, stehen 7 Kambodschaner und schauen rein. Drinnen tanzen 50 Weiße ausgelassen und winken raus. Partytime! Eigentlich könnte man auch zusammenfeiern. Doch die Weißen, die sich drehen, wollen noch nicht raus. Und die draußen warten, dass sie die Weißen nach Hause bringen können.

Das „Howies“, Phnoms Penhs abenteuerlichste Partylocation auf der anderes Seite des Flusses, ist gut gefüllt. Die Bar liegt direkt am Fluss und Phnom Penh glänzt verträumt vom anderen Ufer herüber. Der Dj macht Musik, die er auch in den besten Clubs der Welt machen könnte, ein heimlich rein geschmuggelter Whisky wird munter auf Softdrinks gegossen, das Klo ist goldfarben und Augen leuchten. Auch diese Party entzückt durch Ähnlichkeit! Denn diese Party könnte überall sein. Sie ist im besten, im westlichen Sinne eine coole Party. Coole Location: ein Holzhaus direkt an einem tropischen Fluss + ein gutaussehender Dj mit T-Shirt „HouseSex“ AND und der wirklich cool auflegt *Höre ich doch irgendwann von MIKA „Grace Kelly“ in einer crazy Clubversion, dass ich spontan die überaus herzergreifende Gastgeberin und drei weitere Menschen umarmen musste* + billige, aber sau gute Drinks + ein guter Anlass zu feiern: Geburtstag!!! + Gäste: Kanadier, Australier, Amerikaner, Briten, Holländer, Deutsche und solche, die dort gelebt haben. Es ist eine Party wie zu Hause. Deswegen fühlen wir uns auch zu Hause. Verliebte knutschern miteinander und bei einer Frau fällt schon mal der Busen raus…

Samstag, 11. Oktober 2008

Deutschland feiert mit Wurst







Gelegenheiten gab es zwei. Wir schlendern über einen großen Boulevard durch Hanoi und stehen vor der deutschen Botschaft. Es ist der 2. Oktober. Ich habe Flip Flop an und kurze Hosen. Es ist heiß. „Machen Sie den morgen Abend einen Empfang zum Jahrestag der Wiedervereinigung?“, fragt meine Freundin. „Nein, nicht morgen, heute Abend!“, bekommt sie gesagt. „Schön, wir würden gerne kommen!“ sagt meine Freundin. „Aha!“ wird geantwortet. „Ist aber mit Abendgraderobe!“ Der kritische Blick galt mir. „Haben wir dabei!“, sage ich, was nicht stimmt. Aber es sind ja noch 5 Stunden hin.
5 Stunden später habe ich mir eine Krawatte gekauft und wir sind Teil der illustren Party des deutschen Botschafters in Hanoi. Seine Residenz ist schön. Der Pool ist blau und die Tische sind gedeckt mit deutschen Köstlichkeiten: Würste aller Sorten. Rostbratwurst, Weißwurst, Nürnberger Würste, Würste mit Darm und ohne. Aber Eberswalder Würstchen habe ich nicht gesehen. Das ist eine Wiedervereinigung nach Westgeschmack.
5 Tage später gibt sich Phnom Penh die Ehre. Der Empfang findet im Grandhotel Le Royale statt. 7. Oktober!!! Und was gibt es hier zu essen? Man könnte auch fragen: WIE PRÄSENTIERT SICH DIE DRITTGRÖSSTE VOLKSWIRTSCHAFT, DAS LAND DER DICHTER UND DENKER IM AUSLAND?“ Wurstig! Rostbratwurst, Weißwurst, Nürnberger Würste, Würste mit Darm und ohne. Haben die sich abgesprochen? Gibt es nichts anderes? Wieso ist Deutschland nur so auf die Wurst gekommen. Gut, es gab auch andere Fleischgerichte. Ja, ich weiß, es gab auch Wurstsuppe. Oder Suppe mit Wurst. Vielleicht auch Suppenwurst. Ja, ja, es schmeckt ja auch. Und der Wurstsalat. Oh ja! Und in Asien, da denkt man halt. Die haben aber viel Wurst. Denen geht es gut mit der Wurst. Und ich stille meinen Hunger nach Wurst. Und trinken meinen Wein auf den Durst, viel Wein nach der Wurst. In Asien feiert Deutschland mit Wurst!

(Fotos: Empfang der Gäste durch den deutschen Botschafter in Phnom Penh, kambodschanische Schönheit nebst meiner Wenigkeit, Freundin Tina mit kambodschanischen Damen, Party nach dem Empfang in der Resindenz des Botschafters in Phnom Penh, am Pool zur fortgeschrittener Stunde in der Residenz des Botschafters in Hanoi)

Donnerstag, 9. Oktober 2008

Hotel Hanoi






Vietnam hat so viele Einwohner wie Deutschland. Und genauso wie in Deutschland gibt es ein Nord-Süd-
Gefälle, eine gewisse Anspannung, die verstrittenen Geschwistern gleich immer etwas Unheilvolles in die Familie bringt.



























Der Norden ist kühler, auch in emotionaler Hinsicht. Stärker als der Süden ist er immer unter chinesischen Einfluss gestanden. Der Norden musste sich dauernd des großen Nachbarn China erwehren. Ja, es gibt kaum ein Land, dass so viel um sich selbst kämpfen musste wie Vietnam. Vietnam, das war für viele Jahrhunderte ein Synonym für Krieg. Der Süden dagegen war schon immer den großen Mächten erlegen. Ob Franzosen, Amerikaner oder jetzt Touristen, im Süden hat man munter mit all den Invasionen gelebt und gewirtschaftet. Gefällig, weltoffen, warm und freundlich zeigt sich der Süden, und das leben die Menschen auch jetzt unter der Herrschaft des Nordens, der vor 30 Jahren den Sozialismus in den Süden brachte. Ein Schriftsteller sagte einmal, in Vietnam trennt man sich leise. Vielleicht mag das für den Süden stimmen. Im Norden stimmt es nicht!

Ich werde in meinem Hotelbett wach. Seitdem ich in Asien lebe, habe ich eine Leidenschaft für Hochhäuser entdeckt. Ich schlafe so gerne oben. Vielleicht liegt es daran, dass ich eigentlich fast immer alleine schlafe, vielleicht liegt es an dem Bedürfnis nach Luft und Licht. Ich will was sehen können, wenn ich morgens die Augen auf mache oder abends zu. So suche ich mir auch in Hanoi ein Hotel mit Aussicht. Ich wohne im achten Stock. Unter mir die Stadt. Hanoi. Großzügig, grandios, verrückt, wild und bestechend schön. Über mir der Himmel, tropisch grau, es ist Regenzeit. Es ist acht Uhr. Es ist warm. Es ist schön. Ich habe Urlaub. Ich bin im Hotel „New Paradise“!

Gegen neun Uhr betrete ich die Lobby und bestelle mein Frühstück. Die Hoteliers Frau stellt Rosen ein. Langsam, fast traurig arrangiert sie den Strauß an der Rezeption. Minuten verstreichen und ich frage mich, wieso sie diesem Strauß von blassen Rosen soviel Liebe schenkt. Sie sollte mal lieber meine Minibar auffrischen, die ist schon seit zwei Tagen trostlos und leer. Mein Frühstück kommt. Da die Menschen in Asien nie ein europäisches Frühstück zu sich nehmen, sondern lieber Reis- oder Nudelsuppe löffeln, bekommt man dann als Europäer was serviert, was man ich Asien auch nie essen würde. Das angebrannte Baguette ist nur vom Namen her französisch, der Kaffee ist schwarz und zuckersüß. Butter gibt es nicht, so schmiere ich mir also viel Chilisoße aufs Brot. Drei ältere Britinnen kommen in die Lobby und tuscheln unter großen Hüten ganz amused. Das Hotel kümmert sich um die Rosen, die Zeit verstreicht.

Dann, plötzlich, kommt ein Mann herein. Vielleicht 40 und todsicher schlecht gelaunt. Er tritt an die Rosen und schreit. Er schreit und zetert, wie ich das nur von Vietnamesen kenne. Er schreit durch die Rosen, die gleich noch blasser werden. Er flucht, dass die Frau hinter den Blumen gar nicht umhin kann, das Arrangieren der Rosen einzustellen. Er findet gar keine Ruhe. Er ist der Ehemann. Ich verstehe kein einziges Wort. Die Frau bewegt sich jetzt gar nicht mehr. Sie sieht in eine Ferne, die nicht von hier ist. Sie sieht weit weg. Ich sehe auf meinen Teller und die Britinnen in alte Prospekte, die sich schon gestern angeschaut haben. Das ein Mann so schreien kann!

Natürlich ist die Stimmung in der Lobby gekippt. Im „New Paradise“ fühlt sich jetzt keiner wohl. Er ist verrückt. Er ist cholerisch. Es ist jetzt ganz schlimm. Ich starre immer nur in das Gesicht der Frau. Und die Frau starrt mich an. Eine Maske, dahinter Angst. Langläufig bekannt, die asiatische Kunst des Gesichthaltens, finde ich jetzt doch, dass die Frau ihr Gesicht verliert. Sie reißt sich los, sie läuft in die Mitte der Lobby und er hinterher. Die Britinnen schauen entsetzt. Sie schauen wie Frauen, wenn ein Mann explodiert. Ich schaue auch wie ein Mann ausrastet, wie er wilder noch und unbeherrschter wird. Sie läuft vor Angst, wie jemand läuft, der nicht weiß, wo er hin soll vor Angst. Sie dreht sich im Kreis wie eine alte Tänzerin, müde vom Haltung bewahren, müde vom Schönsein. Sie strauchelt zum Fahrstuhl. Sie ist jetzt aufgelöst. Er rennt hinterher. Und er schlägt zu.

Ich springe auf und brülle. Ich kann gar nicht anders. Das passiert einfach so. Ich denke nicht nach. Ich hole die Frau aus dem Fahrstuhl raus. Er kommt hinterher. Sie weint nicht. Sie hat schon genug geweint. Sie setzt sich an meinen Tisch. Sie starrt mich an. Er kommt auf mich zu. Oh scheiße. Jetzt setzen die Gedanken wieder ein. Ich hasse das.

Meine Freundin kommt in die Lobby und eine Nonne aus dem 7. Stock. Meine Freundin sieht die Frau und fasst sie an. Frauen können das. Die Nonne fasst den Mann an und gemeinsam fahren sie hoch. Unter den Hüten zittern die Britinnen, und im Aquarium zieht ein Fisch seinen lautlosen Kreis. Und die Frau lächelt uns an. Ein wortloses Schweigen. Ein Kopfschütteln. Scham und Entsetzen. Meine Freundin hält noch immer ihren Arm, der langsam ganz ruhig wird.

Später wird man mir in einem anderen Hotel erzählen, dass die Familie unglücklich ist. Später sagt man, sie kommt aus dem Süden und er aus dem Norden. Und das er so viele andere Frauen hat. Hanoi ist ein Dorf, die Straße weiß Bescheid.

Ach, und in Vietnam trennt man sich, wie überall, leise und überhaupt nicht leise!

Wenn man sich trennt!