Samstag, 26. Juli 2008

Bangkok - Die Stadt der Engel

















In Bangkok habe ich mich verlaufen. Ich beschloss am dritten Abend, in die legendäre Babylon-Sauna zu gehen, denn diese wurde mir von meinen Freunden in Berlin empfohlen. Auf der Silom-road, auf der mein Hotel liegt, herrscht Berufsverkehr. Berufsverkehr kennt man ja aus allen großen Städten. Aber in Asien ist es eine besondere Sache und in Bangkok, meine Lieben, ist das eine ganz besondere Herausforderung. Kurz vor dem Lumpini-Park ist meine Silom-road nämlich achtspurig und zweistöckig. Was unten nicht durchkommt, fährt oben lang, was von rechts nach links will, bleibt in der Mitte stehen. Tausende Motoren heulen, als wollte die ganze 10-Millionenstadt abheben und in einem anderen Sternensystem nach einem neuen Siedlungsort, nach neuem Raum suchen. Ich höre auf meinem Walkman Depeche Mode aus den 80ern. Ich glaube, die Highways hier wurden auch in derselben Zeit gebaut.

Wenn man Musik hört – mir geht es jedenfalls so – dann verwandelt sich die reale Umwelt in eine träumerische Kulisse. Ich laufe zwar die Straßen entlang, wandele durch Kaufhäuser oder Passagen, doch meine Gedanken sind frei. Und schon fliegen sie auf, hier in dieses Auto, wer sitzt darin? Dort in dieses Schaufenster, und dann über das Gesicht der alten Köchin, die im größten Gewühl Suppe kocht, versuchen zu ergründen, wo die beiden schönen, modischen Thailänderinnen arbeiten oder sie erforschen, was im ernsten Ausdruck des Security-Mannes vor der großen Bank verborgen ist. Oh, er lächelt zurück. Bangkok, so will der Name sagen, ist eine Stadt der Engel. Ach wie schön, wenn eine Stadt noch Engel hat. Berlin hat ja auch viele Engel, doch die meisten von ihnen stehen auf den Friedhöfen.

Als ich um die Ecke biege, richte ich automatisch meine Augen Richtung Himmel. Ein riesiger Wolkenkratzer steht vor mir. Jadegrün glitzert er im späten Abendlicht. In vielen Etagen brennen noch Bürolampen, laufen, stehen, sitzen Menschen wie in einem coolen Werbetrailer. Zu seinen Füßen ein weiterer Highway, auf dem sich die roten Rücklichter der Autos wie eine endlos lange rote Schlange klingeln. Ich laufe zu auf den glitzernden Turm, weiche einer weiteren Straße aus, und lande plötzlich in einem vergessen Garten. Neben dem Garten liegt ein Friedhof, klein, angefressen an allen Seiten, von der gierigen Stadt. In einem alten Haus, zu dem der Garten gehören muss, hängt Wäsche auf einer Leine. Im zweiten Stock brennt Licht, zwei Halbwüchsige rauchen auf dem Balkon eine Zigarette. Ich stehe in ihrem Garten, sie winken mir zu und verschwinden dann. Ich betrete den Friedhof, wandere einige Pfade entlang. Die weißen Steine schimmern hell. Einige sind umgestürzt. Vergessen, aufgegeben. In der Dunkelheit erfüllt mich die Ahnung einer Modernität, die hoch, hoch hinaus will und zu deren Füßen soviel Natur, soviel Leben, so viel Tod liegt. Alte Blätter liegen auf dem Boden, ein Strauch ragt hüfthoch. Zwar streckt ein Baum seine müden Äste, doch die erreichen noch nicht einmal den zweiten Stock des alten Hauses. Ich glaube, ich habe lange kein dichteres, kein komplexeres Bild für Endlichkeit, für Entwicklung und Veränderung wahrgenommen als in diesem Augenblick. Und dafür, wie sich die Schichten der Zeit, auf der Vertikalen abbilden lassen. Hier unten der Garten, dort oben der Turm. Haben deshalb die Menschen früher an Engel im Himmel geglaubt?

Ich gehe zurück, finde aber meinen Weg nicht mehr. Nehme mir ein Taxi, der Taxifahrer kennt sich auch nicht aus. Naja, wir fahren erst einmal. Auf einer großen Straße erinnere ich mich, dass ich hier heute Abend schon einmal war. „Left now, then right!“ „Ok Sir!“. Als ich aussteige, stehe ich vor der Babylon-Sauna. Von außen unscheinbar, von innen eine Mischung aus Orient und Asien. Lediglich die Locker erinnern mich an europäische Geradrobenschränke.

Die Architekten des Luxus-Spa müssen begeisterte „Labyrinth-Fans“ sein. Ich glaube, ich brauchte weitere zwei Stunden, um mich grob zu orientieren. Ich kann mich noch gut an das peinliche Gefühl erinnern, vor einer Wand zu stehen, die einem Pfeil nach zu urteilen, eine Tür haben muss, nur habe ich diese nie gefunden. Ich glaub, ich habe meinen Orientierungssinn in Deutschland vergessen.

Als ich später Jade kennenlerne, verstehe ich lange seinen Namen nicht. Das asiatische Englisch kommt völlig ohne J-, S-, T-, D- und H-Konsonaten aus. Dann sagt er erneut, er hieße JADE, so wie der grüne Stein. Ich grinse, JA DER GRÜNE STEIN, hatte ich heute schon mal. Und hab mich danach gleich verlaufen …



(Fotos: Bangkok Centralstation, JADE, Straßenszene, Chao-Phraya-River)

Grenzfahrt


Wir sind früh in Siem Riep aufgebrochen. Um fünf schon holte uns Kim‘s Onkel ab. Viele Geschäfte in Kambodscha werden über Familiennetzwerke abgewickelt. Und als ich mich auf Drängen meiner mitreisenden Freundin bereit erklärt hatte, nicht von Siem Riep nach Bangkok zu fliegen, sondern mit dem Taxi zu fahren (8 Stunden!), hatte unserer Tuk-Tuk-Fahrer gleich den richtigen Chauffeur bei der Hand. Onkel Dong. Onkel Dong ist 50 und fährt einen weißen Toyota Corolla. Onkel Dong spricht kein Wort Englisch, hat aber ein ungebrochenes Kommunikationsbedürfnis. Das habe ich schon nach zehn Minuten mitbekommen und mich sofort gefragt, warum ich ausgerechnet wieder auf dem Beifahrersitz sitzen muss und so blöd war, zu sagen, ich würde Khmer lernen. Meine Khmerkenntnisse waren nämlich schon nach fünf Minuten aufgebraucht und wir hatten noch nicht einmal Siem Riep verlassen.

Was mein Betrag zum „Gespräch“ betrifft, ich begann ziemlich schnell zwischen dem ehrlichen Bekenntnis „Knjom man joul de!“ (Ich verstehe nix!) und einem bejahenden aber verlogenen Zuhören like „Ah, ja, bat, Hhm…yes“ hin und her zu schwanken, ein unangenehmer Zustand, der durch die metergroßen Schlaglöcher auf der Nationalroad 6 noch verstärkt wurde. Meine Freundin auf dem Rücksitz feixte und meinte nur lakonisch, ihre Freundin in Indonesien könne die Landessprache schon fließend sprechen. Was für eine schöne Reise!

Irgendwann wurde auch der Onkel ruhig, denn die Herausforderung des Steuerns nahm selbst ihn in Anspruch. Die Nationalstraße 6, die nach Thailand führt, ist von Gerüchten und Geschichten umworben. Sie ist derartig schlecht, dass man sie eigentlich nicht benutzen kann. Der Reiseführer Lonely Planet hat in Erfahrung gebracht, dass die einzige Airline, die von Siem Riep nach Bangkok fliegt, das kambodschanische Verkehrs- und Planungsministerium bestochen haben muss, damit die Nationalstraße nicht und niemals ausgebaut wird. Ich glaube, Onkel Dong, versuchte mir selbiges zu erklären.

Und dann gibt es ewige Grenzstreitigkeiten zwischen Thailand und Kambodscha, so das eine Investition in Infrastruktur für das arme Kambodscha nicht in Frage kommt. Gerade ist der Konflikt wieder aufgeflammt, weil die UNESCO Kambodschas Antrag auf Aufnahme des Bergtempels Preah Vihear in die Weltkulturerbeliste befürwortet hat. Am selbigen Tag hatte ich auch prompt 7 SMS von kambodschanischen Freunden/Bekannten auf dem Handy, wie stolz und bewegt sie doch seien, dass die Thais diesen Tempel auf der Grenze nun nicht mehr den Kambodschanern wegnehmen könnten. „The Thais have lost their face!!!“

Wem auch immer hier was gehört: die Nationalstraße 6 kann ein Lied davon singen. Ich jedenfalls summe auch mal mit, denn das einzige, was an diesem schlammigen, schlaglochreichen Sumpfweg mit einer Nationalstraße zu vergleichen ist, ist die 100 km vor der thailändischen Grenze einsetzende Straßenbeleuchtung. Und diese wurde von Thailand gebaut. Und so spielen sich unter futuristischen Straßenlampen – die natürlich noch nicht brennen, denn für die Stromversorgung ist Kambodscha zuständig – bürgerkriegsähnliche Szenen ab. Onkel Dong lacht da nur schallend, wenn ich mal wieder einen liegengebliebenen LKW mit einem lauten „Oh“ oder einen in das Reisfeld gerutschten Linienbus mit einem „Ah“ quittiere. Da steht ja eine ganze Reisegesellschaft im Schlamm und wartet auf Hilfe! Und 10 Minuten später schlingern wir an einem Traktor vorbei, der dem Bus zu Hilfe geeilt, auch im Graben hängen geblieben ist, was zahllose Kambodschaner veranlasst, neben dem Traktor zu parken und sich geruhsam über die Ereignisse auf der Nationalstraße auszutauschen. Dummerweise haben aber diese ihre Autos, Geländewagen, Fahrräder auf den letzten befahrbaren Flecken der Nationalroad abgestellt, so dass selbst Onkel Dong zu fluchen beginnt. Er weicht aus und wir nehmen Anlauf einen meterhohen Schlammhaufen zu erklimmen. Die Autofenster sind schnell braun, nur wenige Flächen bleiben sauber. Das Auto schlingert seitlich am Schlammberg entlang und schon rutschen wir fünf, sechs Meter hinunter in einen Tümpel, in dem bereits ein Auto zur ewigen Ruhe gebettet zu sein scheint. Die Leute drinnen jedenfalls lesen Zeitung. Na Klasse. Auch unser Auto steht, nix bewegt sich mehr. Aber, Onkel Dong weiß sich zu helfen. Es gibt ja einen Rückwärtsgang. Quälend langsam fahren wir – ich kann es nicht anders sagen, mit dem Rückwärtsgang nach vorn. Das hatte ich auch noch nicht. Wir drehen uns im Kreis, dann gibt es einen Ruck und die Fahrt geht weiter. Ich sage tiefbeeindruckt „Wow“ und Onkel Dong klatscht mir auf den Schenkel. Erleichtert nehme ich wieder die idyllische kambodschanischen Reisfelder in Augenschein, und denke darüber nach, dass mich nie wieder jemand überreden wird, diese Straße zu benutzen.

Zwei Stunden später kommen wir in der Grenzstadt Polpet an. Riesige Casinos auf der kambodschanischen Seite laden zum Glückspiel ein, was in Thailand verboten ist. Wir steigen aus, beinahe rutsche ich aus, denn auf dem Platz vor der Grenze liegt natürlich auch eine zentimeterdicke Schlammschicht, zumindest auf der kambodschanischen Seite. Ich gebe dem Onkel 35 Dollar, ich glaub, die Hälfte davon kann er gleich wieder für die Autoreinigung ausgeben. Ich schleppe meinen Trolley in das kleine schmutzige Grenzhäuschen, rollen kann ich ihn nicht in diesem Sumpf. Auch reicht mir schon aus, dass meine Flip-Flop in regelmäßigen Abständen, den Dreck von hinten auf meinen Rücken schleudern. Es ist irre heiß und als ich vor dem Grenzpolizisten einen Spiegel sehe, sehe ich einen Menschen aus Deutschland darin, der völlig durchgeschwitzt und schlammbekleckert ein große Belastung überlebt haben muss.

Eine Stunde später stellt sich bei mir – auf 4spurigen Autobahn in Thailand, von der Aircondition gut gekühlt - ganz langsam das Gefühl ein, dass es auch schön sein kann zu reisen. Wir haben das Fahrzeug gewechselt und auch den Fahrer, das war so abgesprochen. Und doch bin ich tief beeindruckt, wie Onkel Dong, die Odyssee gemeistert hat. Bestimmt ist er schon wieder auf dem Weg zurück nach Siem Riep, schlingert mit seinem Toyota mit einer atemberaubenden Geschicklichkeit durch den Schlamm, wie die meisten in die Jahre gekommenen Kambodschaner durch die Mäander ihrer versumpften Gesellschaft. Es ist schon verrückt, wie Menschen mit widrigen Umständen umgehen und welche Überlebensstrategien man dabei entwickeln kann…



(Foto: adad)

Sonntag, 6. Juli 2008

Tempeldiener in Angkor Wat











Schlangen und Dämonen, Elefanten und Affen, Götter und Menschen – selten nur, sind Kultur und Natur eine derart magische Verbindung eingegangen wie in Angkor, der alten, der himmlischen Hauptstadt des Khmer-Empire. Das gesamte Areal, von der Ausdehnung her mit einer heutigen europäischen Großstadt wie Berlin vergleichbar, war jahrhundertelang vom Dschungel überwuchert und wurde erst in der Mitte des 19. Jhd. von den Franzosen "wiederentdeckt", auch wenn einigeTempel durchgängig von den örtlichen Bewohnern genutzt wurden. Seitdem ringt Kambodscha mit seinem Erbe, denn in gewisser Hinsicht ist Angkor das einzig Große, was dieses kleine Land noch hat. Angkor ist DAS Nationalheiligtum Kambodschas, Quelle religiösen, spirituellen, politischen und wirtschaftlichen Lebens. Angkor ist weltbekannt, ob in Saigon oder Bangkok, Seoul oder Peking, Tokio oder Delhi, alle pilgern zu den Hindugöttern und dem Buddha auf dem Lotosblütenthron. Selbst Flora und Fauna zeigen, wie die Natur vor Jahrhunderten ausgesehen haben mag, lang bevor die Wälder gerodet, die Tiger erschossen, die Schlangen vertrieben, die Vögel verjagt und die Elefanten gezähmt wurden.

In Angkor gibt es Hoffnung. Und diese kann das traurigste Land Asiens gebrauchen. Angkor ist Kraft, Kunst und Können auf höchstem Niveau. Man kann es kaum begreifen, was man sieht, auch wenn man das meiste noch anfassen darf.

Noch immer sind viele Kambodschaner nie in Angkor Wat gewesen. Noch immer haben viele von ihnen nur gehört, dass ihr Land, ihre Heimat am Meer liegt. Verstanden es die alten Khmerkönige vor 800 Jahren, Bewässerungsanlagen, Tempel, Paläste errichten zu lassen, ist das heutige Land so bitter arm und die heutige Regierung so unfähig, eine angemessene technische und kulturelle Infrastruktur zu unterhalten, die es jedem Kambodschanischer ermöglichen könnte, einmal nach Angkor zu fahren und die Komplexität dieser immensen, eigenen Vergangenheit auch nur zu erahnen. Die meisten Kambodschaner in Angkor und Siem Riep, der dazugehörigen Touristenstadt, kochen in Restaurants, fahren Tuk-Tuk oder Taxi, mixen Drinks, reinigen Zimmer, wechseln Geld, bewachen die Anlagen, verkaufen Früchte, füttern Affen, reiten Elefanten, führen Touristen oder schlafen mit ihnen. Ihre asiatischen Nachbarn dagegen sind längst im globalen Tourismus angekommen und strömen zu Tausenden mit Digitalkamera , GPS und Hochglanzreiseführern durch die alten Gemäuer.

Die kunstsinnigen Schöpfer von einst, halten ihnen heute die Türen auf.