Sonntag, 13. September 2009

Besuch aus Singapur






„Sie kommen!“ Der Direktor eilt in den Hof, springt über Pfützen, denn er hat nur Strümpfe an. Der Monsun hat seit zwei Wochen mit aller Macht eingesetzt. Jeden Nachmittag stürzt Regen aus schwarzen Wolken auf die Stadt und überzieht die Straßen mit Schlamm. Die Gäste, deren Besuch in der NGO seit zwei Tagen fieberhaft vorbereitet wird, kommen aus Singapur. Sie sind, wie meine Kollegen, Buddhisten. Doch sie kommen aus einer anderen Welt.

Schnurstracks marschieren sie in die Lobby und lassen sich betend vor den Mönchen nieder. Wallende, orangefarbende Roben, Jasminblüten und Lotosknospen. Die Besucher werden gebührend empfangen. Schon ist der Raum gefühlt mit 30 Menschen, die am Boden kauern und den alten, sonoren Segen in der Pali-Sprache, die niemand mehr versteht, entgegennehmen.

Singapur ist reich und Kambodscha bettelarm. Asiaten beide, und doch ungleiche Geschwister. Auch wenn in beiden Ländern viele Chinesen leben, und sich an diesem Morgen chinesisch stämmige Asiaten begegnen, hat die Welt, in der sie groß geworden sind, sie unterschiedlich geprägt. Singapur ist ein führendes asiatisches Dienstleistungszentrum, Kambodscha ein zurückgebliebenes Entwicklungsland. Es ist wie einst in Ostdeutschland, Besuch aus dem Westen, auch wenn Singapur im Süden liegt. Was die einen an Businessgewohnheiten mitbringen, gleichen die anderen dafür mit Herzlichkeit aus. So fügt es sich zusammen. Videokameras und Blackberry, Pali-Texte und Lotosblumen. Zumindest am Anfang.

Die Besucher reden Englisch mit Singapurslang. Es ist gut zu verstehen, doch für die Führungskräfte meiner NGO ist die natürliche Geschwindigkeit der Muttersprachler schwindelerregend. „Bastian, möchtest du nicht doch lieber diesem Termin beiwohnen?“ flötet der Direktor. Es könnten ja Missverständnisse auftauchen.
Gemeinsam gehen wir hoch in den Sitzungsraum, und nehmen Platz unter dem goldgerahmten Portraits des Königs Sihanouk und seiner Frau Monique. Alles schaut gebahnt nach vorn, die NGO will ihre Errungenschaften präsentieren, die mit dem Geld aus Singapur erreicht wurden. Geld, das von Firefly in Singapur eingesammelt wurde, um Bedürftige in Kambodscha zu unterstützen. In diesem Jahr wurden buddhistische Bestattungen von an AIDS gestorbenen Menschen bezahlt und die Hinterbliebenen unterstützt. (http://www.fireflymission.org). Die Charity aus Singapur ist bestens organisiert, auch wenn alles auf Ehrenamt beruht.

Eine Powerpoint Präsentation rieselt auf die Gäste hinab, kräftig animiert. Schon blinkt es auf der zweiten Seite und nach der vierten gibt es gar Applaus… Nicht von den Gästen, sondern aus dem Lautsprecher, weil der Program-Officer (PO) Applaus gutfindet … Nach 30 Minuten ist Schluss. Gerade will der PO zum Lunch einladen, da übernimmt der Gruppenleiter aus Singapur das Wort und sagt, sie würden gerne auf das Angebot zurückkommen und einige Fragen stellen. Hilflos schaut der PO zu mir rüber und der Direktor schlägt aufgeregt die Beine übereinander. 11 Leute melden sich: „Mich interessiert, wie groß der Prozentsatz derjenigen Beneficiaries (Klienten der NGO) ist, die direkt Mikrokredite erhalten?“ Ein älterer Mann meldet sich: „Wenn Sie durchschnittlich einen Dollar investieren, wie hoch ist der Anteil der administrativen Kosten daran?“ Und eine andere Dame meldet sich: „In welchem Zeitraum müssen die armen Menschen das Geld zurückzahlen? Gibt es Kriterien für solche Fälle, wo das Geld nicht zurückgezahlt werden muss?“
KRITERIEN? Der PO ist am Ende und schnappt nach Luft! Der Direktor lässt sich kurz von mir die letzten Fragen übersetzen, da er sie nicht ganz verstanden hat - vielleicht will er auch ein bisschen Zeit gewinnen. Und ich finde diese Fragen alle gut! Ruhe im Raum!
Jetzt schaut der PO rüber zu mir: HILFE!!!!!!!!!!!!!!! Und entscheidet sich, eine kleine Wundergeschichte zu erzählen…“Es war einmal eine AIDS-kranke Frau und die wurde dank unserer NGO und den Medikamenten wieder gesund!“ Oh nein, da hat doch gar keiner nach gefragt! Mir fällt kurz meine alte Arbeit im Deutschen Bundestag ein, da wurden auch immer Fragen gesammelt, bevor geantwortet werden musste und schlage das vor, um in der Zwischenzeit den Chief-Accountant ranzuholen. Zutiefst erschrocken fängt dieser sofort zu rechnen an.
Und als wir nach einer Zeit wieder den Sitzungssaal betreten, beantwortet der PO schon mal eine weitere Frage: „Nein, das ist so, der Holzsarg selbst wird nicht verbrannt, denn können wir ja wieder benutzten, nur die Schatulle, in der der Tote liegt.“ Ach, denke ich, die Gäste haben sich mit ihren Fragen ein wenig auf die praktischen Kambodschaner eingestellt!

Nach einer Weile sind auch die Leute aus Singapur hungrig und irgendwie dann doch mit den Antworten zufrieden. Alle fangen zu essen an. Doch wie ich mir, in der Mitte der Gäste sitzend, die erste Frühlingsrolle in den Mund schieben will, stelle ich fest, dass ich mit den Gästen ganz alleine bin. Ich frage meine Kollegin, die das Essen serviert auf Kambodschanisch, wo denn um nur um Buddhas willen unsere Kollegen sind? Sie schaut mich hilflos an und sagt nur „Unten!“ „Unten? Das ist ein Geschäftsessen! Das sind Donor aus Singapur, die wollen auch beim Essen reden und weiter Fragen stellen. Deswegen sind sie heute hier!“ „Ach ich weiß, aber der Direktor hat gar keinen Hunger und dem PO geht’s schlecht!“ Na klasse. Dann kommt zufällig der Mitarbeiter für Human Ressources um die Ecke, ich sehe ihn und lade ihn ganz höflich ein, mit uns zu essen! Da konnte er nun wirklich nicht NEIN sagen, und wird dann auch gleich auf Englisch nach der Herkunft der Pancakes gefragt. „Ja, die sind ursprünglich aus Kambodscha“, sagt er. Was nicht stimmt, denn sie kommen aus Vietnam, deswegen heißen sie ja auch Vietnamese Pancake… aber mir ist‘s auch schon egal.
Er sitzt auch nur 5 Minuten neben mir, dann klingelt sein Handy und er entschuldigt sich. In Ermangelung kambodschanischer Gesprächspartner spricht Singapur dann mit mir. „Ach, aus Deutschland kommen Sie?“ „Aus Frankfurt?“ „Nein, aus Berlin.“ „Ach, aus dem Ost- der Westteil der Stadt?““Bitte?“ Woher wissen die denn das???? „Ja, bin in Ostberlin großgeworden. „Das ist ja außerordentlich interessant!“ „Haben Sie auch den Fall der Mauer miterlebt?“ 60 Augen schauen mich gebannt an! Oh, nein, nein, nein, bitte nicht, ich bin doch gar nicht dran... „Ja hab ich! Hab sogar mitgemacht!“ Ich denke nur, die sind wirklich schlau! Dass ist wirklich wie Besuch aus dem Westen!