Samstag, 13. Juni 2009

Deutschland: Gibt es Tabletten gegen Neigetechnik?


An irgendeiner Ampel an einer Berliner Straßenkreuzung fragt mich Kim, wieso die gelben Boxen am Ampelmast so klopfen und klackern? Ich drehte mich um, und war ganz plötzlich stolz auf mein Land. „Diese Boxen senden Signale für blinde Menschen, damit diese die Straße gefahrlos bei Grün überqueren können“ erkläre ich. Eine kurze Verblüffung und dann schon eine zweite Frage, die mit dem gleichen Fragewort beginnt, dass ich auf meiner ersten Heimatreise nach einem Jahr in Kambodscha noch oft hören werde: „WHY?“ Wieso versuchen blinde Menschen denn allein über die Straße zu gehen? Haben sie keine Familie? Ich habe jetzt gar keine Lust, noch mehr zu antworten und sage nur, in Deutschland haben die Familien keine Zeit.
Das Argument mit der Zeit läuft aber noch ein paar Mal über unseren Weg.

In meiner Küche, einen Tag später, frage ich Kim, ob er das Geschirr in den Geschirrspüler stellen könnte. Er schaut irritiert und fängt dann an, die Teller mit der Hand abzuwaschen. „No, No…. You can put it there!“ „What’s that?“ Kim schaut in den Geschirrspüler hinein. Ich lache amüsiert und doziere wie in einer 60er-Jahre-Werbung für Haushaltswaren: „That’s our new dishwasher!“ J Wow. Kim ist erstaunt, er sagt, er kenne diese Geräte nur aus den Thai-Soaps, die im Vorabendprogramm laufen. „Hat das hier jeder in Deutschland?“ „Ja, sage ich, fast jeder!“ Kim denkt kurz nach und stellt dann laut fest, dass die Menschen in Deutschland viel mehr freie Zeit haben müssen als in Kambodscha, weil es so viele Geräte gibt. Ich nicke bejahend obwohl ich weiß, das Gegenteil ist der Fall: Im Vergleich zu Kambodschanern haben die Deutschen keine Zeit!

Meine Neffen baumeln an meinen Händen, wir haben einen magisch schönen Sonntag in Potsdam verbracht und wollen zurück nach Berlin. Im Servicecenter der Deutschen Bahn im Potsdamer Hauptbahnhof gibt es zwar keine Schlange von Wartenden, die wenigen Kunden vor uns haben aber besondere Wünsche. Die Kinder sind müde und lümmeln auf einer Bank. Minuten verstreichen. Nichts passiert. Ich gebe den Kindern ein Zeichen, dass wir gleich dran sind und unsere Tickets kaufen können. Die ältere Dame vor mir, geht an den Schalter. Etwas umständlich, wie ich finde, bringt sie ihre Wünsche an die Angestellte. „Also ich möchte am 17. Juni nach Nürnberg fahren. Mit dem ICE. Nicht mit einem IC. Gibt es eine Verbindung? Und am 20. Juni zurück!“ Hat auch keine Zeit, denke ich nur!
Die Angestellte sucht die ICE-Verbindung raus. „Also wir haben da einen ICE am 17. Juni um 10.12 h ab Berlin Hauptbahnhof nach Nürnberg….“ Die Dame, todsicher eine Berliner Rentnerin, nickt kurz und fragt dann erneut: „ Sagen Sie bitte, ist das ein ICE mit Neigetechnik?“ Ich denke nur: „BITTE?“ und schaue auf meine Uhr. Wie so ein Mensch einem die Zeit stehlen kann. Die Angestellte aber schaut schon wieder in ihrem Computer nach, ohne mit der Wimper zu zucken. „Also der ICE am 17. Juni nach Nürnberg fährt noch ohne Neigetechnik. Auf der Rückfahrt dagegen wird bereits ein ICE mit Neigetechnik eingesetzt! Darf ich für Sie buchen“ Die Rentnerin überlegt kurz. Och, zu gern würde ich jetzt für die alte Dame in der Schalterhalle lautstark die Frage beantworten. „Neeeeeeeein, Ich will aber zweimal mit Neigetechnik!“
Bis die Rentnerin sagt, sie können sich jetzt noch gar nicht entscheiden. Sie müsse erst mit ihrem Arzt reden, ob es Tabletten gegen den Schwindel bei der Neigetechnik gibt.

Ich atme tief durch. Hilft mir immer! Die Dame geht. Und die Angestellte sagt: „Der Nächste bitte!“