Dienstag, 18. Januar 2011

Myanmar 2: Der General






December, 26th, auf einer nächtlichen Kirmis südlich der Shwedagon Pagode, Yangon, Myanmar

Ein Duft von glühender Holzkohle und gebratenen Kokoseierkuchen zieht durch die Nacht. Hunderte Burmesen schlendern an spärlich beleuchteten Marktständen vorbei, wühlen in Haufen von Altkleidern, die in Dutzenden angeboten werden oder kaufen Luftballons oder Lose. Selten sind Mangelwirtschaft und Kitsch, Armut und billiger Überfluss eine bizarrere Mischung eingegangen.

Ebenso bizarr wirken auch meine zwölf Begleiter auf mich. Eine burmesische Musikkapelle, Theaterleute, Sänger und Tänzerinnen. Wir schlängeln durch die Massen zur Bühne hin. Einer Polonäse gleich ziehen wir langsamen Schrittes über den Rummel, weichen auf dem Boden lagernden Menschen aus und springen über Gerölle, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres für einen Ausländer, der die ersten Nächte seines Lebens in Myanmar verbringt, auf einer weitläufigen Holzbühne aufzutreten, vor der sich bereits viele Schaulustige gelagert haben und keiner anderen darstellenden Kunst mächtig zu sein, als der kindlich über das Unvorhergesehene zu staunen.

Schon der ganze Abend fing befremdlich an. Denn es hieß, wir gehen noch einmal in das alte Haus der Musikinstrumentenbauer, von denen wir uns erst gegen 15.00 h überschwänglich verabschiedet hatten. So zumindest meint es unsere Freundin Ti verstanden zu haben, nur um sich kurze Zeit später zu entscheiden, gar nicht erst mitzukommen. Ich hasse es, verabredet zu werden und schlimmer noch, dann, mehr oder weniger allein hinzugehen. Entsprechend unschlüssig standen wir am frühen Abend vor der Tür, eigentlich erwartungslos.

Wieder wurden wir hineingebeten, und nahmen Platz auf der prächtigen Holzbank, die zweifelsfrei nur bedeutenden Menschen angeboten wird. Selbst unser burmesischer Freund Jojo, der sich dankenswerter als Übersetzer hat breitschlagen lassen, noch einmal ins Musikinstrumentenhaus mitzukommen, wirkt deutlich eingeschüchtert. Unbehaglich rühre ich in meinem Glas mit heißem Tee, das mir sofort hingestellt wird, schaufele etwas Zucker hinein, den ich sonst nie benütze, nur um die Zeit zu überstehen und begutachte die eingelegten, burmesischen Gemüse, die dazu gereicht werden. Die einzige Gabel in der Mitte des Tellers, mehr als zehn Anwesende, uns drei Gäste ausgenommen. Ja, denke ich mir, so kann man sich auch näherkommen… Freundlich und unbeholfen starren wir uns lächelnd an.

Aufbruch liegt in der Luft. Die Tür geht auf, und irgendjemand sagt, wir gehen jetzt los zum Konzert. Ich brauche Minuten, um zu realisieren, dass ich, wir uns in Mitten eines Ensembles befinden, das sich kurz vor einem langersehnten Auftritt befindet. Ein Ensemble, das über Burma hinaus bekannt ist für seine traditionelle Musik. Schon hüpft mein Herz voller Erwartung, nur um kurze Zeit später zu rasen anzufangen, nämlich dann, als wir vorbei an den Wartenden auf der Hinterbühne neben all den anderen professionellen Darstellern Platz nehmen. Was um alles in der Welt mache ich hier? Wo ist mein Kostüm? Welchen Clown muss ich mimen? Welchen Gesang anstimmen? Und schlimmer noch, was werde ich im Schatten der weltberühmten Shwedagon Pagode auf der Bühne zum Besten geben, wenn mal wieder eine der in Asien so üblichen „Begrüßung der ausländischen Gäste“ Show abgefeiert wird. Ja, denke ich mir, so muss es einst auch Kafka ergangen sein, in einer skurrilen Umwelt eingesperrt und mit Anforderungen konfrontiert zu werden, deren Erfahrungen wesentlich zu seinem genialisch verrückten Stil beigetragen haben.

Scheinwerfer flackern auf, geht es jetzt los? Wir sitzen jetzt mitten im Licht. Ich blicke mich um. Mein Freund To hat sich schon in eine herumliegende burmesische Decke gewickelt und versucht sich als Einheimischer zu tarnen. Und Jojo hat sich bereits im hintersten Bereich der Hinterbühne verzogen, und nimmt eine Mütze Schlaf. Doch halt, liegen nicht neben ihm noch ein Dutzend andere Männer und Frauen und schlafen? Wann geht es denn nun los? Die geschmückten Frauen mit den berühmten langen Hälsen neben mir unterhalten sich leise.

Die Schläfrigkeit auf der Hinterbühne passt so gar nicht zu dem hektischen Treiben außerhalb des Bühnenraumes, der von drei Seiten einsehbar ist. Hunderte von Burmesen stehen am Bühnenrand und versuchen einen Blick zu erhaschen, lächeln erwartungsvoll, necken sich oder nicken mir freundlich zu.

Ich frage den Leiter des Ensembles, der ein wenig Englisch spricht, wann die Vorstellung beginnen soll. Er lächelt mich an und sagt, sie würden dann anfangen, wenn der Senior General kommt. Der Senior General? Ja, der Senior General Than Shwe, der, wie man flüstert, gerade der goldenen Shwedagon Pagode einen inoffiziellen Besuch abstattet, wird danach auf dem Volksfest erwartet, dessen Höhepunkt die Musiktheateraufführung ist. Doch wann kommt der General? Niemand weiß es, niemand kann es sagen.

In einem Land, in dem es keine verlässlichen Informationen gibt, ersetzen Gerüchte den Wunsch nach Wahrheit. Und so richtet sich auch der Anfang einer Theateraufführung nach keiner Uhr, sondern nach dem ungesicherten Erscheinen des Königs.

So nämlich wird er Chef der Junta von seinen Landsleuten ironisch genannt, nur wenn diese sicher sind, dass kein Spitzel in der Nähe lauscht. Schon seit 1992 regiert der alte „König“ das unglückliche Land. Er ist nicht nur Chef der Junta, Regierungschef, Verteidigungsminister, er ist auch Oberbefehlshaber über die Streitkräfte, die zu einem der größten stehenden Heere der Welt angewachsen sind. Doch während die Privilegien der Junta-Kreise jeden Tag wachsen, verarmt das Volk. Der Volkszorn flammte jüngst auf, als Videoaufnahmen der Hochzeit von Than Shwes Tochter in Umlauf kamen, bei den Juwelen und Hochzeitsgeschenke im Wert von mehreren Millionen US-Dollar zur Schau gestellt wurden. Pharaonengleich ließ sich der selbstherrliche Than Shwe mit der neuen Hauptstadt Naypyidaw auch gleich ein Denkmal für die Ewigkeit bauen. Doch eines scheint mir im Licht der Geschichte gewiss, selbst dieses Denkmal wird eines Tages eingerissen werden.

Doch noch hat die Junta über die Jahre hinweg diverse Palastrevolten niedergehalten – letztmals mit dem Sturz von Sicherheitschef Khin Nyunt, der das noch präsentabelste Gesicht der Junta war. Khin Nyunt hatte offene Gespräche mit Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gefordert. Einen Dialog mit der Opposition lehnt Than Shwe rigoros ab, bei der bloßen Nennung des Namens „Aung San Suu Kyi“ soll er zusammenzucken. Eine freie Presse existiert nicht, unliebsame Journalisten werden ins Gefängnis geworfen. Than Shwe‘s Wirtschaftspolitik hat das Land mittlerweile nahezu ruiniert. Die nach wie vor blühende Korruption wird geduldet, solange die Beteiligten dem Staatschef loyal sind. Gleich hart ging die Junta gegen Familienkreise des exzentrischen Altdiktators Ne Win vor. Alles Zeichen, dass die Junta nicht zögert, aus ihrer Spitze selbst Mitstreiter zu verdammen, denen man nicht mehr bedingungslos trauen kann. Man möchte glauben, das Land wird von Psychospathen beherrscht. Und das hat sich auch nach der Freilassung von Aung San Suu Kyi nicht verändert, die seit kurzem wieder durch Yangons Gegenwart geistert.

Drei Stunden sind vergangen, die Musiker haben sich zwischen die Instrumente zum Schlafen gelegt. Es ist kurz vor Mitternacht. Hier ragt ein Fuß aus den Gongs, dort liegt ein Kopf auf den Trommeln. Noch immer ist der General nicht gekommen. Und noch immer stromern die Massen über den nächtlichen Markt. Stöbern nach Brauchbarem in einem Land, das eigentlich alles hat, Gold, Erdöl, Reis, Diamanten, Teakholz, die freundlichsten Menschen und vielleicht auch die, an elende Zustände verlorensten, alles hat, außer eine gewisse Aussicht auf Zukunft.

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