Samstag, 29. November 2008

Phnom Penh dreht!











Ist es ein Film? Oder ist es Wirklichkeit?
Die Villa strahlt in der Nacht. Ein Krüppel ohne Beine sitzt draußen vor der Treppe. Er besteht nur aus Rumpf und Kopf und guckt einen an. Schaut steil hoch. Seine Augen sind so groß, damit niemand rauftritt. So klein, wie er ist. So viele Leute, die heute hier sind. Detlev Buck dreht in Phnom Penh. Einen Liebesfilm. Genaueres weiß ich nicht. Ich bin nur Komparse. Und 200 andere auch. Tonnen von Kambodschanerinnen, geschminkt und irre jung. Dutzende von Expats. Die sind auch gekommen. Komparsen wie ich. Männer, die in den Nachtclubs der Stadt tanzen und auf Asiatinnen stehen. Frauen, die aus den Provinzen kommen und in Phnom Penh ein neues Leben suchen und das heißt, einen Mann. Ich glaube, diesmal muss Buck seine Komparsen nicht bitten, in eine Rolle zu schlüpfen. Wir sind wie immer, wir sind ohne Rolle da.
Die Villa, in der heute Nacht ein Club ist, ist schon lange leer. Sie hat ein französisches Gesicht. Bevor Pol Pot an die Macht kam, muss es ihren Bewohner hier gut gegangen sein. Sie wurden dann ermordetet. Lange ist keiner mehr eingezogen. Die Zeit der Villen war vorbei. Katzen streuten, Hunde, Krüppel und Bettler, die wie Flechten die Wiederbesiedlung von alten Steinen anzeigen. Eine Bewohnbarmachung des Unorts. Vor drei Wochen war ich schon einmal drin, weil‘s auch in Phnom Penh die Idee gibt, Orte noch einmal zugänglich zu machen, bevor sie sich verändern und die Vergangenheit verschwindet. Denn das alte Haus mit den Fensterhöhlen und Balkonbrüstungen, auf denen kleine Bäume wachsen, erwacht. Mitten in Phnom Penh wird sich die letzte Ruine des alten französischen Viertels in ein 4 Sterne Hotel verwandeln. Im nächsten Jahr schon. Die Villa ist verkauft.
Detlef Buck dreht in der Villa in Phnom Penh. Ich sitze an der Bar und soll mich unterhalten. Neben mir ein Komparse wie ich, Franzose, aus Paris, seit drei Monaten hier. Wir quatschen, wie man quatscht, wenn man quatschen muss, wenn die Kamera läuft. Kambodscha ist schrecklich, sagt Fabián. In seinem letzten Job wurde er nicht bezahlt. So macht er beim Film mit. Er redet auch mit einem anderen Franzosen, der so viel Dreck unter den Fingernägeln hat, dass er hier auch gut den Hauptdarsteller abgeben könnte. Buck‘s Film spielt im Backbacker Milieu. Ein Mann liebt eine Frau. Die Frau ist HIV positiv. Sie lernen sich am See kennen, der gerade zugeschüttet wird. Die Guesthouses an seinem Ufer sind alt und riechen muffig. Man kann dort für 5 Dollar schlafen, für 10 $ ein Kind kaufen und für 100 $ eine Frau ein Leben lang. Das ist die Wirklichkeit, in der dieser Film spielt. Es gibt am See so viele Kröten wie Plastiktüten, die im Wasser treiben. Der See ist ein Klosett. An seinem Ufer kann niemand gesund bleiben. Unsere Szene wird dreimal gespielt. Nicht, dass Wir uns verquatscht hätten. Nein, direkt vor der Kamera bestellen zwei Hauptdarsteller ein Bier und zahlen mit einem 10 Dollar Schein, der vom Barkeeper nicht lange genug auf seine Echtheit geprüft wird. Findet die Regie. Also nochmal, Klappe die zweite, die dritte. Auch der Hintergrund muss stimmen. Wir zappeln im Takt. Die Musik dröhnt. Mittlerweile haben die beiden Hauptdarsteller ihre Girls gefunden und toben auf der Tanzfläche. Dann Lunchpause. Ich gehe raus, am Krüppel vorbei. Der guckt noch immer. Ich rauche eine Zigarette mit einer Frau, die hier die Maske macht. Barbara. Sie ist ganz glücklich, dass ich auch deutsch kann und erzählt mir von ihrer buddhistischen Waschung im Wat. Phnom Penh ist laut findet sie.
In der nächsten Szene müssen wir tanzen. Die Girls und die Männer heizen ein. Lichtspots jagen durch den Saal. Das Kamerateam kriecht wie eine große Schnecke durch den Dreck. San reicht mir bis zum Bauchnabel. So’ne kleine Frau. Sie lacht die ganze Zeit, weicht aber meinem Blick ständig aus, obwohl sie ihn sucht. Ich tanze näher an sie heran, wir heben die Arme und stampfen mit den Beinen. Ein 5 Minuten Track. Ein 40er jähriger Mann neben uns steckt seine Zunge in eine Frau, die sich wie eine Schlange in seinen Armen windet. Sie sehen aus wie ein richtiges Paar. Können Komparsen für 40$ die Nacht so lange knutschen? 40$ kriegen die Expats, die Kambodschaner nur 10. San hat einen Sohn, sagt sie. Er ist schon 18. Sie arbeitet in einem Friseurladen, und sie braucht Geld. Sie ist geschieden, seit 4 Monaten schon. Es war wohl schrecklich. Ich verstehe nur die Hälfte. Ihr Englisch ist bescheiden. Sie kennt nur Worte, auf die es ankommt. Im Film. Im Leben. „Do you have girlfriend?“. „Do you live alone?“ „Do you have good job?“.
Meine nächste Zigarette rauche ich mit einem dicken Amerikaner, der 50 ist. Die Zigaretten hat diesmal Buck spendiert. Irgendjemand von der Produktion findet, im Club wird zu wenig gepafft. Also rauchen wir jetzt Filmzigaretten. Der Ami hat einen Knall, finde ich. Er tanzt, obwohl gerade Pause ist. So auf-immer-lustig. Sein Girlfriend ruft ständig an. Sie können aber nicht reden. Sagt er, und lacht. Er kann kein Khmer und sie kein Englisch. Er sext die Kambodschanerinnen an und die erfahrenen von ihnen sexen zurück. Mein Gott, ist das anstrengend. Ich will hier weg. Doch der Ami quatscht auf mich ein. Seit 4 Jahren ist er hier. Er wollte den Kambodschanern eigentlich die Welt erklären, denn er kenne sich aus in Grundlagenforschung. Wie die Erde entstanden ist. Warum es Fische im Wasser gibt und wieso die Sterne nachts leuchten. Doch die Menschen hier wollen ihn nicht verstehen. Jetzt ist er Englischlehrer. Und verzweifelt im Glück.
Gegen Mitternacht ist Lunchpause. Ich gehe raus. Der Krüppel isst. Er guckt nur auf den Teller. Ach, ich hau jetzt mal ab. Neben meinem Rad essen 4 Kambodschanerinnen auf ihren Mopeds. Sie machen mir Platz und kichern. „Do you had Dinner Sir?“ Ja, sage ich. Was nicht stimmt. Es sind vier Schwestern. Tief ist der Ausschnitt und dick das Make up. Obwohl keine von ihnen älter als 25 ist. „Are you Moviestar?“ fragen sie. Ich lache. Ne, ne. Nur müde. Sage ich. „And you?“ Sehr müde, sagen sie. Aber sie brauchen das Geld. „Good luck!“ sage ich. „Good luck Sir!“

Der neue Detlef Buck Film heißt „Same, same, but different!“ Das ist ein Arbeitstitel. Ich finde ihn blöde. Doch er passt.
Ab November 2009 im Kino, auf dem Filmfestival in Venedig, dann in Deutschland und in Phnom Penh. Hingehen!

1 Kommentar:

yadzia hat gesagt…

wunderschoene bilder. aber der text klingt irgendwie traurig.
glg, y.