Montag, 3. November 2008

Mein singendes, klingendes Helmchen






Sie macht alles falsch! Von einer Seitenstraße schiebt sich ein dicker Jeep der Marke Cherokee Chrysler auf den Norodom, Phnom Penhs schönstem und auch verkehrsreichsten 6-spurigen Boulevard. 100.000 US $ teuer, ein chromblitzendes Goldgewitter. In Phnom Penh verdient ein Kambodschaner im Durchschnitt 70,-US $ - im Monat! Das Ich-bin-reich-macht-mir-Platz-Allradmonster rollt einige Meter an den Rand des Boulevards, auf dem sich hunderte Fahrzeuge, Tuk-Tuks, Modeds, Geländewagen, Holzpritschen, Cyclos und ein Fahrrad drängeln, nämlich meins! Und bleibt stehen. Und zögert und traut sich nicht. Ich schaue neugierig ins Auto. Gibt’s denn sowas? Eine schicke weiße NGO-Lady sitzt am Steuer und traut sich einfach nicht, weiterzufahren. Die hat doch sicher 300 PS unterm Hintern, denke ich mir. Was hat sie denn? Ah, sie ist vielleicht neu hier. Genau, sie hat gestern bestimmt bei der UNICEF angefangen oder vorgestern und nun muss sie das erste Mal mit dem Dienstwagen nach Hause und bleibt vor Schreck erst einmal stehen. Und haben mir nicht gerade meine letzten Besucher aus BERLIN berichtet, dass der eigentliche Kulturschock hier in Phnom Penh darin bestünde, mit dem chaotischen Verkehr zu Recht zu kommen? Dass sie es geradezu lebensbedrohlich fanden, die Straßen zu überqueren. Dabei ist es eigentlich ganz einfach! Der Verkehr in Kambodscha, den Ausländer gerne als Chaos beschreiben, selbst solche, die gerade aus Bangkok einreisen, repräsentiert die Kultur dieses Landes, ihre Werte und Ordnungen, wie kaum ein anderes System der Gesellschaft. Und wenn man das begriffen hat und seine darin enthaltende Rolle angenommen hat, dann kann man hier auch fahren. Auf los geht’s los!

Ich kam im April nach Phnom Penh und kaufte mir am zweiten Tag mein erstes Fahrrad in der Nähe des Phsar Orrusey (Orrusey Markt), einem Betonungetüm, das aus einem Labyrinth von Waren, die niemand kauft und Menschen, die nicht wissen, wohin sie wollen, zu bestehen scheint. Ich saß damals drei Minuten auf dem Rad, bevor meine Stimmung : Ich-bin-jetzt-glücklich-bei-euch-zu-sein!“ umkippte in eine „Ich-habe-mich-verfahren-und
-weiß-vor-Angst-nicht-mal-mehr-wie-mein-Hotel-heißt-Apokalypse“. Ich sprach kein Wort Kambodschanisch, in meinem Ohr dröhnten tausend Motoren und ich schwamm nicht nur in meinem Scheiß sondern auch in dem Verkehrsstrom Richtung stadtauswärts, wie ich später zu meinem Entsetzen feststellen musste. Tatsächlich, als sich der Verkehr, was für ein Anflug von Hoffnung, lichtete, da war ich 10 km weit weg von meinem Hotel. Ich rettete mich dann auf eine der wenigen Grünanlagen und rauchte eine Zigarette, träumte von Hinweisschildern such as „Centre“ oder „Hier-geht’s-zur-Innenstadt“, die es in Phnom Penh nicht gibt, genauso wenig wie Straßenschilder! Ein Kambodschaner sprach mich an, sogar in Englisch. Wir pafften gemeinsam und er erklärte mir den Weg. Auf Kambodschanisch natürlich. Lachend und unpräzise!

Gegen Abend erreichte ich mein Hotel und sprang sofort aus naheliegenden Gründen in den Pool. Greg, der Hotelchef musterte unterdessen mein rotes Rad und setzte sich dann schmunzelnd an den Poolrand.

„Weißt du eigentlich, was du dir gekauft hast?“ fragte er mich. „Ja klar, ein rotes Fahrrad aus China, mit dem ich mich schon mal gehörig verfahren habe“, entgegnete ich lakonisch, und tauchte für längere Zeit unter. Mir war irgendwie klar, dass mich eine pädagogische Unterrichtseinheit erwartete, auf die ich partout keine Lust hatte. Als ich wieder die Wasseroberfläche erreichte, begann der australische Hotelier dann auch amüsiert zu dozieren, dass ich mir heute einen äußerst lebensgefährlichen Platz in der kambodschanischen Verkehrshierarchie ergattert hätte. Und zwar GANZ UNTEN!!!

„Also ganz unten, da sind die Hühner!“ sagt er „Und dann kommen die Katzen“ (Ich habe hier noch nie eine gesehen – alle schon überfahren oder was????) „Und dann gibt es erst einmal nichts und dann kommen die Hunde!“ „Okay“, reagiere ich genervt, „Nun sag schon, jetzt kommt der gemeine Fahrradfahrer, oder?“ „Nein, Moment, erst kommen die Fußgänger, quasi vor den Fahrradfahrern. Deswegen gibt es hier auch kaum Fußgänger!“ Stimmt, denke ich, bis auf den Leuten vor den Geschäften und dem Typen in der Grünanlage, habe ich auch wirklich keine Fußgänger wahrgenommen. „Genau, und dann kommen die Fahrradfahrer Bastian! Und dass sind nur Ausländer. Oder hast du heute einen Kambodschaner auf dem Rad gesehen?“ „Nein, habe ich nicht, doch ehrlich gesagt, hatte ich heute eh andere Sorgen!“ „Ja und zwischen Cyclofahrern und Radfahrern, da wird hier nicht so unterschieden. Sie teilen beide das gleiche Schicksal. Sie werden im Verkehr einfach nicht wahrgenommen!“ „Mit der Folge, dass man einfach weiterfährt, sie überfährt?“ frage ich verdutzt. Greg lacht. Und ich tauche mal wieder unter. War der Fahrradkauf vielleicht mein erster Fehler in diesem Land? „Und dann gibt es wieder einen kulturellen Abstand in der Hierarchie, denn die Mopeds und Tuk Tuks haben ja immerhin einen Motor.“ Sagt Greg und ich zähle in Gedanken, an wie vielen Tuk Tuks und Mopeds ich heute im Stau schon mal vorbeigezogen bin. „Ja, und dann kommen die Autos, wobei da natürlich auch unterschieden wird. Alte sind weniger wert als neue, kleine viel weniger als große und die ganze großen, die haben immer Vorfahrt, egal wie klein die Ausfahrt ist, aus der sie gerade kommen, oder die Nebenstraße. Der Verkehr auf der Hauptstraße muss ausweichen. Es sei denn, es kommt ein LKW oder sogar ein Bus. Die haben keine Bremsen und kennen nur das Gaspedal!“ Oh, wo ist eigentlich mein LKW-Führerschein …schrumm, schrumm, schrumm??? Okay, Greg hat mir mal die Welt erklärt und wünscht mir gute Fahrt, bevor er davon schlürft.

7 Monate später weiß ich Bescheid! Die NGO-Lady im dicken Van auf dem Norodom verursacht gerade ein Verkehrschaos, weil sie, kulturell hier hoch gestellt (Ich habe IN DIESEM WAGEN IMMER VORFAHRT , sich so verhält, als müsste sie wirklich von einer kleinen verschissenen Nebenstraße kommend, dem Verkehr auf dem 6spurigen Boulevard Beachtung schenken, was ja in der westlichen Welt eigentlich normal wäre. Sie steht politisch korrekt im Chaos einer Welt, das sie sogar verursacht hat. Was für ein Gleichnis!

Jetzt, 7 Monate später, träume ich davon, zu der Lady zu radeln und ihr zu erklären, dass sie gottverdammt einfach mal fahren soll, egal, was da auf der Hauptstraße los ist. Einfach die Fenster runter kurbeln und rein schreien: GO, GO, GO!!!!

Mittlerweile hat sie die Mitte des Boulevards erreicht, und um sie herum kriecht dampfend und dröhnend der Verkehr wie eine riesige, hungrige Schlange. Ach, soll sie mal sehen, wie sie weiterkommt, denke ich mir. Und ist doch klar, denke ich mir, dass Leute in solchen Autos keinen Schimmer von der Kultur haben, nix mitkriegen quasi in ihrem Aircondition-Gefährt. Da schlägt die Kühlung schon aufs Gemüt! Ja, da kann man schlecht behaupten, man habe Kambodscha erlebt, wenn man nur im Ledersessel kleben bleibt! Anders dagegen die Kambodschaner, die hier mit fetten Mercedes-S-Klassen oder im obzönen HUMMER rummbrettern. Die kennen sich im Land bestens aus und haben im Armenhaus Asiens das große Geld gemacht.

7 Monate später macht mir der Verkehr Spaß. Vielleicht ist es mein Abenteuersinn, meine Lust auf Herausforderungen, vielleicht auch die Musik in meinen Ohren, denn nach zwei Monaten fahre ich mit einem schicken Helm aus Ho Chi Min-City auf meinem chinesischen Mountainbike und höre meinen I-touch trällern. Ich habe ein singendes, klingendes Helmchen! Völlig lebensgefährlich – ich weiß. Aber es ist cool. Es gibt hier keine Helmpflicht, anders, als in Vietnam und man muss ich im Auto auch nicht anschnallen.

Es ist wie Auto Scooter auf dem Rummel, nur ohne Eintrittspreis. Und es macht Spaß. Denn natürlich haben die Kambodschaner auch keinen Bock auf Unfall. Und natürlich gibt es hier auch zahlreiche Regeln. Nur muss man diese kennen. Die wichtigste ist SELBSTBEWUSSTSEIN. Das heißt nicht mit dem Schwanz zu fahren – ihr kennt ja diesen blöden Spruch aus Deutschland, wenn mal wieder betrunkene Halbstarke über die Straße brettern. Sondern mit einem Lächeln im Gesicht Gas geben. Das geht immer. Und bremsen und Gas geben. Wenn man wer ist, wird man auch wahrgenommen. Und alles geht langsam. Langsam! Fahren ist oft schieben, bummeln… 50km fährt hier niemand, vielleicht 20, 10. Schritttempo. Da bin ich mit dem Rad oft schneller. Klar, ich bin hier als Ausländer erkennbar nicht der letzte Arsch in der Verkehrshierarchie. Die Hunde kläffen schon ganz neidisch! Ich schlängele mich nur durch. Und seit dem vor zwei Monaten in der Phnom Penh Post stand, dass aufgrund der steigenden Benzinpreise (zur Zeit 1.45 US$) immer mehr Kambodschaner aufs Rad umsteigen, radele ich auch nicht mehr allein. Auffallend ist auch, dass sich die im Verkehr beteiligten Kambodschaner einen Scheiß um den Verkehr hinter sich kümmern. Das muss man akzeptieren, wenn mal wieder einer von ganz links nach rechts rüber zieht und man aus Versehen (oder weil das Liedchen gerade wieder so lustig war) nicht mitbekommen hat, dass dieser seinen Kopf entsprechend der Richtungsänderung bewegt hat. Denn blinken? Nö, Fehlanzeige! Wieso auch. Rückspiegel? Gibt’s nicht! Hat vielleicht mit dem Zeitkonzept in Asien zu tun. Immer nur im Augenblick sein. Gestern? Was ist das? Morgen? Ja, ja… reden wir dann morgen drüber. Hier und Jetzt. Och, da kann man sich als Europäer viele Therapiestunden schenken. Einfach mehr herkommen und radfahren, statt ewig in der Vergangenheit rumwühlen, sage ich nur. Ganz im Augenblick sein und sich wohlfühlen und nen bisschen aufpassen. Und wenn man mal runter muss vom Boulevard, dann kann man schon zwei Kilometer vorher anfangen, die Fahrbannseite zu wechseln. Ja, genau, ich weiß, was ihr gerade denkt: GEISTERFAHRER! Genau. Die gibt es hier überall. Und dass muss man dann auch akzeptieren, dass auf einer zweispurigen Straße, manchmal Fahrzeuge in 4 Verkehrsrichtungen unterwegs sind. Und manchmal wird gebremst, weil auf der Straße ein Imbisswagen steht und jemand hungrig ist. Essen hat in Kambodscha immer Vorfahrt! Eigentlich ist das alles hier ganz menschlich! Menschlich, ungerecht und zerbrechlich. Gut, die Unfallstatistik recherchiere ich morgen…. Morgen….

1 Kommentar:

yadzia hat gesagt…

wo ist das foto von dir mit deinem helmchen??? zeigen!!!
küsse von der frau, die selbst in berlin zwei jahre gebraucht hat, um sich aufs rad zu trauen (in phnom penh bräuchte ich wahrscheinlich zehn :-)