Sonntag, 23. November 2008

Das bittere Ende der Hochzeitstorte











Ich kam viel zu früh. Im LUCKY BRIGHT RESTAURANT starten mich die Servicekräfte hilflos an, die Hochzeitsrezeption war verweist, genauso wie die in doppelter Reihe gestellten Stühle an den beiden Seiten des roten Teppichs. „Wir geben uns die Ehre, Sie zur Hochzeit unserer Kinder Rythi Lan and Li Sangun um 4.30pm einzuladen.“ Die glücklichen Eltern des Brautpaares, vier an der Zahl, vier prunkvolle Unterschriften, doch um 4.30pm ist erst einer da: Nämlich Ich!
Ich falte die barock gestaltete Einladungskarte wieder zusammen, sms meinem Freund Kim die Nachricht, dass ich völlig allein im Hochzeitsrestaurant stehe, WEIT UND BREIT KEINE HOCHZEITSGESELLSCHAFT, und mich ganz ohne Gesellschaft fühle. „Habe ich dir doch gesagt, spottet er 10 Minuten später, dass du da frühestens um 5.30 h hingehen musst!“, und zieht mit seinem großen Wagen über den Norodom-Boulevard. Ich sehe im Rückspiegel den Bräutigam stehen. Er schaut mir ungläubig hinterher. Ich meine fast, die Gedanken meines Kollegen lesen zu können. „Wird Bastian wiederkommen?“ Dabei rief ich ihm doch noch zu, als ich den Bräutigam kurz vor dem Eintreffen Kims, das erste Mal zu sehen bekam: Kjnom mork wing morpei niitie! (Ich komme in 20 min wieder). Natürlich war das eine Lüge, denn ich hatte längst beschlossen, dem Rat Kims zu folgen, und mich gnadenlos um eine Stunde zu verspäten, mindestens!
Tatsächlich hat sich die Szene gut eine Stunde später vollständig gewandelt. Zahllose Autos fahren vor, Türen springen auf, rosa, blau, grün oder golden gekleidete Frauen schweben samt Anhang über den roten Teppich, dem drapierten Brautpaar entgegen und am selbigen vorbei. Sie werden strahlend begrüßt, von der Braut mit kleinen süßen Früchten beschenkt und halten Einzug ins dreistöckige Restaurant. Blitzlichtgewitter. Gruppen posieren. Auch ich schreite zielstrebig dem Brautpaar entgegen, mit einem freudigen Grinsen im Gesicht, als hätte ich beide an diesem Tag zum ersten Mal gesehen. Nachdem festlichen Auftakt führen mich Angestellte in den ersten Stock und leiten mich an einen großen Tisch, an dem noch ein Platz frei ist. OH NEIN, DAS KANN DOCH JETZT NICHT WAHR SEIN. Hier kenne ich niemanden. WO SIND MEINE KOLLEGEN? Und schon nehme ich Platz zwischen 4 kambodschanischen Männern, die aus irgendwelchen Gründen auch allein gekommen sind und den Eindruck machen, sie würden an einem Schweige Retreat teilnehmen und zwei französischen Paaren, die, wie ich nach wenigen Sekunden feststellen musste, kein Englisch und schon gar kein Khmer sprechen können. Ich grüße umständlich und warte, was passiert. Leider nichts! Die vier Kambodschaner starren vor sich hin schon ganz innerlich, die Franzosen unterhalten sich, wie sich Paare unterhalten, die sich auf einmal wieder was zu sagen haben. Die Band vor uns auf der Bühne spielt Lieder, die ganz traurig klingen und ich schreibe SMS. An meine Kollegen: WO SEID IHR? An Kim: ES WIRD LEIDER NICHT BESSER! An meine Mutter: BIN GERADE AUF EINER KAMBODSCHANISCHEN HOCHZEITSFREIER…bis mir mein Nachbar ungefragt Angkor Bier einschenkt. Und Johnnie Walker. Tödliche Mischung! Wir stoßen an. Für Sekunden lächeln, dann glucksen. Genau, einfach mal ein bisschen volllaufen lassen, denke ich mir. Die Stimmung kann nur besser werden. Eine Stunde später ist die Stimmung gekippt.
Der Tisch dreht sich, wie ich erfreut feststelle, es ist ein Drehtisch. Mir dreht sich’s auch schon. Die Gläser klirren. Das Essen wandert nur so herum. Die Kellner schenken Angkor-Bier ein, die Jungs den Johnnie Walker. Sogar den Franzosen wird jetzt warm.
Ich hebe mein Johnnie-Bier-Walker-Glas, um zu trinken und alle unterbrechen das Essen und tosten mir zu! CHEERS!!!! Und so tosten wir uns ins Delirium. Ach so, Regel Nummer eins: Trinkt einer, müssen alle mittrinken. Auch schön! Ich merke, dass die Franzosen nach einer Stunde schlapp machen und heimlich Wasser nachgießen, aber das entgeht den Khmers nicht und dann gibt’s halt den Johnnie mit Wasser. Selbst schuld! Regel Nummer zwei: Wieso gucken die denn so blöde am Nachbartisch? Ach ja, da ist ja noch ein Platz frei und die kriegen nichts zu essen. Gegessen wird erst, wenn all da sind? Genau. Na dann einfach schon mal mit dem Johnnie anfangen, toste ich frech rüber… Und versuche mich weiterhin an der Aussprache eines der am schwierigsten zu betonenden Khmerworte “Tschhnanj?“ (Schmeckt‘s?“) Mein Nachbar grunzt genüsslich: „Tschnanj!“
Gegen 20.00 h bin ich betrunken – nach zweieinhalb Stunden – und treffe plötzlich einen Kollegen, was mich daran erinnert, dass ich eigentlich die ganze Zeit auf meine Kollegen gewartet habe… „Wo seid ihr denn?“ „Khan löe?“ (Oben?), Ach, hat‘s hier noch eine Etage?
Ich reiße mich schwankend von meinem lustigen Drehtisch los, von dem ich überschwänglich verabschiedet werde. Na, da ist ja doch noch richtig Kontakt entstanden. Johnnie sei Dank!
Im dritten Stock angekommen bietet sich mir ein prächtiger Blick auf die triumphale Hochzeitstorte, hinter der sich die völlig erschöpften Brauteltern und das Brautpaar aufgestellt haben. Meine Kollegen sitzen an einem Tisch und kreischen auf, als sie mich sehen. Tami und Morokat glitzern in pink-violett farbenden Kostümen, als wären sie zu ihrer eigenen Hochzeit gekommen. Und die Jungs ziehen mich sofort auf die Tanzfläche. Papiergirlanden jagen über den Tanzboden und die Hochzeitstorte wird mit Chemiefarben bespritzt. Das Brautpaar hat sich schon wieder umgezogen und tanzt nun dreimal um die Torte, die an diesem Abend nicht gegessen wird. Die Brauteltern segnen das Paar. Soksobei. Saisobok. Oh ja, das kann man den beiden NUR wünschen. In Kambodscha wird man oft auf Geheiß der Eltern VERHEIRATET! Die Hochzeit ist eine ökonomische Angelegenheit. Da ruiniert man sich gern zu Tode. Wenigstens die Feier muss stimmen. Niemand soll enttäuscht werden. Glück heißt in Kambodscha, gut versorgt zu werden! Heute stemmen die Brauteltern das Fest. Und ab morgen das Brautpaar den Rest seines Lebens!


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