Nachts ist Phnom Penh menschenleer. Und doch – es gibt zahllose Geräusche. Und Unheimliche sind unter ihnen. Manchmal ist meine Decke nicht lang genug, die ich mir über den Kopf oder eher über die Ohren ziehen will.
Der Feierabendverkehr zwischen 17.00 und 19.00 h ist für jeden eine Zumutung. Selbst gestandene Phnom Penher stöhnen. Die zwei Millionenstadt spukt alles aus, was sie früh in sich aufgesogen hat. Angestellte, Arbeiter, Müllsammler, Polizisten, Beamte, Banker, Geschäftsleute, Shopbesitzer, Wachleute, NGO-Staff und all die vielen Straßenverkäufer, die tagsüber Baguettes, Schnecken, Mangos, Eis, geröstete Bananen, gedünstete Maiskolben, Suppen, Nudeln oder Reis unter die Hungrigen bringen. Nach 18.00 h setzt die Dämmerung ein und diese dauert in den Tropen höchstes eine Stunde. Der Tag verabschiedet sich so schnell, als wollte er sich selbst vergessen. Und die Dunkelheit der Nacht zieht über die Stadt. Zwar leuchten die Boulevards festlich im nächtlichen Licht, doch die Seitenstraßen – aus denen Phnom Penh im Grunde besteht, sind stockdunkel. Von den Tausenden von Straßen der Hauptstadt sind höchstens drei Dutzend öffentlich beleuchtet. Ausgenommen die Monumente der Stadt. Das Unabhängigkeitsdenkmal (Foto) wird zu jedem besseren Anlass festlich angestrahlt. So ist das Licht in der Nacht, in Phnom Penh, in Kambodscha, eine private Angelegenheit. Amüsiermeilen leuchten im Licht des Begehrens, Restaurants und Hotels werben mit schrill glitzernder Reklame und bis 22.00 oder 23.00 h knattern durch die Restaurant- und Nachtclubstraßen unterhaltungssüchtige Kambodschaner mit einem „losen“ Mädchen auf dem Rücksitz. Zum guten Ton gehört das nicht. „Normale“ Mädchen, Frauen sind nachts zu Hause.
Die Nacht in Phnom Penh findet für die meisten im Kreise der Familie statt. Gegen 23.00 h geht auch im letzten Haus das Licht aus. Und um Mitternacht sieht man lediglich von den, hinter hohen Bäumen und Mauern versteckten Villen der Reichen, die Zigarettenglut des Wachpersonals, die in lähmender Langeweile vor sich hin dösen. Selbst die vielen Mopeds, Autos, Tuk-Tuks sind schlafen gegangen. Die Straßen sind völlig leer.
Und doch ist es in Phnom Penh nie still. Es ist, als wollten sich all die Geräusche Gehör verschaffen, die am Tage, im Lärm der Metropole, untergehen. Mein Schlafzimmer liegt im ersten Stock (Foto). Da ich gegen meine europäischen Gewohnheiten dem tropischen Rhythmus der Stadt folge, liege ich häufig schon gegen 23.00 h im Bett und versuche, den Tag Revuepassieren zu lassen, in mich hinein zu hören. Und manchmal, da höre ich auch hinaus, in das Haus, in die Stadt. Eine eiserne Tür schlägt krachend zu, ist es beim Nachbarn, ist es bei mir? Ein Kind weint leise, oder ist es eine Katze, die auf der Jagd ist? Ein Hund schlägt an. Ein anderer reagiert. Schritte, Trippeln, Wasser rauscht in den Rohren, das doch eigentlich niemand benutzt. Ein Gekko gluckst, zirpt und wieder trippeln tausend kleine Füße irgendwo. Das Haus ächzt, doch es weht kein Wind. Jetzt läuft jemand die Treppen hinunter. Klatschende Absätze. Eine Frau? Ein Mann? Einbrecher? Sind auch wirklich alle Türen zu? Etwas stöhnt im Bad. Durch den Türschlitz fällt Licht. Ist es die Treppenhausbeleuchtung? Die hatte ich doch ausgemacht. Die Klimaanlage rauscht. Jetzt aufzustehen, wäre, der Irrationalität des Hörens, nachzugehen. Ich bleibe liegen. Die Tür des Schlafzimmers ist von innen verschlossen. Spätestens hier kommt niemand weiter. Laut knallt ein schwerer Gegenstand zu Boden. Was ist gestützt, was hinuntergefallen? Ein Wind kommt auf. Das Haus wird zum Echokörper einer schlafenden Stadt. Lauter und lauter wird das Rauschen. Hat es zu regnen begonnen? Ich ziehe mir die Decke über die Ohren. Durch die Straße rast ein verspätetes Motorrad. Und ein flüchtiges Licht jagt durch mein Zimmer. Das Rauschen nimmt zu, es ist Regen, der sich knallend, schlagend auf den Wellblechdächern austobt. Er nimmt alles mit. Er ist so ohrenbetäubend, dass ich nur noch weghören kann. Es ist wie am Tag, zügellos, laut.
Stunden später kräht ein Hahn. Vögel singen in der Früh. Im Garten nebenan fängt der neue Tag an. Endlich. Gegen halb fünf begrüßt auf der Straße ein Hausmüllsammler den Morgen mit einer Kinderfanfare. Exotisch, albern eigentlich. Es ist Phnom Penh. Er bückt sich und nimmt die Müllbeutel des alten Tages mit auf seinem vergammelten Wagen. Und die Stadt wird wieder wach.
2 Kommentare:
das klingt ja als schreibst du an der "nachtstadt, teil 2". und es klingt fremd und vetraut zugleich. fremd, weil es in einer so weit entfernten welt stattfindet, und vertraut, weil ich dich reden höre, wenn ich das lese.
das tut gut.
lg aus dem wasser rauschenden hof im jkh.
klingt wirklich ein bisschen gruselig und so wie ich es kenne,wenn ich irgendwo fremd bin und mich erstan die Geräusche gewöhnen muss. Wahrscheinlich wird es eine Weile dauern, bis dir auch die Töne vertraut sind. So kommt man auch durch Geräusche nach Hause ;-)
Vielleicht entschlüsselst du die wiederkehrenden Geräusche irgendwann mal für uns. HGM
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