Mittwoch, 28. Januar 2009

Singapore











Die Stewardess drückt mir ein Formular in die Hand. „Embarkationform for Visitors“ Bitte in Blockbuchstaben ausfüllen und die Farben Blau oder Schwarz benutzen. Ich schlürfe genüsslich meinen Kaffee und krame in meiner Tasche nach einem Stift. Ach ist doch egal. Grün muss doch auch gehen. Weiß ich, wo wieder die schwarzen Stifte rumfliegen. Unter mir ist Malaysia.
Eine Stunde später, auf dem Changi Airport in Singapur, bin ich von allen Passagieren der erste am Immigration Schalter, habe ich es doch das erste Mal geschafft, für eine viertägige Reise nur Handgepäck mitzunehmen. Doch meine Abfertigung zieht sich lange hin. Ein kurzer Blick auf mein Zettelchen und Schwupps, schon werde ich von der Beamtin an einen Schreibtisch verwiesen. Bitte alles noch mal ausfüllen. Grün ist nicht erlaubt. Dabei hatte ich diesmal so schöne Großbuchstaben geschrieben… Willkommen in Singapur!

Riesige Bäume spenden Schatten und verwandeln die acht spurige Straße vom Changi Airport in einen prächtigen Boulevard. Nur Spaziergänger fehlen. Stattdessen jagen Autos über den matt glänzenden Asphalt. Die Oberflächen der Straßen sind bruchlos und glatt. In dieser Stadt stößt man wohl nicht gerne an.

Der Mann, der am Steuer sitzt, ist alt. 3 Zähne hat er noch und auf den Händen riesige Altersflecken. Er ist vor 60 Jahren aus Indien nach Singapur gekommen. Da war er sechs. Singh, wie ihn seine Eltern nannten, hat die steinerne Verjüngung der Stadt erlebt und ist dabei alt geworden. Er hat viele Häuser, viele Menschen und viele Gesetze überlebt.
4 Tage später werde ich wieder zum Airport fahren, meinen Platz finden in einer schwarzen Mercedeslimousine, hinter abgedunkelten Scheiben sitzen und einen chinesischen Taxifahrer im Rückspiegel beobachten, dessen Augen hinter einer Sonnenbrille versteckt sind. Alles wird so kalt sein wie Glas.
„Gesetze?“ „In Singapur ist eigentlich fast alles verboten!“ Taxifahrer Singh nimmt die 25minütige Fahrt in die Innenstadt zum Anlass, mich künstlich empört in den hyperkorrekt geregelten Verhaltenskodex dieser südasiatischen Millionenstadt einzuführen. Ich höre zu, denn wie sehr fangen mich erste Stimmen, Gerüche, Temperaturen, Bilder und Kulissen einer fremden Kultur in den ersten Minuten des Ankommens ein.
„Hier ist alles verboten, z.B. Blumentöpfe auf den Balkon zustellen. Wenn man mal doch einen geschenkt bekommt und rausstellt, flattert eine Woche später ein Ordnungsbrief der Regierung ein und man darf 150 Singdollar zahlen (ca. 110 US-$). Nur damit den Singapurern nix auf den Kopf fällt. Es ist verboten, Kaugummis wegzuwerfen oder Zigarettenkippen. Kostest 500 Singdollar. Und zusätzlich muss man an einem freien Sonntag in einer Grünanlage Laub pflegen.“
Ich bin nachdenklich. Aus Kambodscha kommend, in dem die Menschen nicht nur lächeln, sondern auch alles „fallen lassen“, frage ich mich, ob es in Asien vielleicht keinen oder nur einen sehr harten Weg in die Sauberkeit gibt.
„Alles ist hier geregelt. Sehen Sie. Das Taximeter zeigt oben Ihre Gebühren an und hier unten die zusätzlichen Straßennutzungsgebühren, die davon abhängen, ob es off-oder peak-time ist, wochentags oder Wochenende. Das müssen Sie noch zusätzlich bezahlen. Bei mir wird es nur abgebucht. Und als Fußgänger bei Rot über die Ampel? Bloß nicht erwischen lassen, 1000 Dollar sind dann weg!“
Wir jagen weiter Richtung Innenstadt, vorbei an den weltweit gelobten sozialen Wohnungsbau. Türme für Menschen: Singapur hat nach Hongkong weltweit die höchste Bevölkerungsdichte und fast 90 Prozent der Singapurer sind Wohnungseigentümer. Überall flattern Wäschestücke im Wind. Die Wäschestangen sind in jedem Hochhaus vormontiert. Hemden aus Malaysia, leuchtende Tücher aus Indien, Hosen aus China. So bringen die Bewohner einen Hauch Mensch in die Welt aus Beton.
Hochhäuser aller Orten. Kräne, Metallgerüste. Die Stadt des Löwen brüllt. Im Hafen werden die meisten Container der Welt umgeladen, im Financial District das meiste Geld in Südostasien gemacht. Draußen auf dem Meer, eine Armada von Schiffen, Öltanker, Containerschiffe, Kreuzfahrtschiffe. Davor Singapurer am Strand. Der Strand ist sauber, nur das Schiffsöl bildet nach dem Baden einen schillernden Film auf der Haut.
„In Singapur“, so wird mir später eine Freundin sagen, „sitzen die Menschen in Großraumbüros, arbeiten 50 Stunden in der Woche, gehen danach shoppen oder spielen am Computer.“
Der unbeschreibliche Erfolg der Stadt - am Anfang des neuen Jahrtausends – wirft die Frage auf: Ist Singapur Vorbild? Modell für andere Gesellschaften?

Es ist Sonntag, Chinese New Year. Ich liege im Bett und blicke hinunter auf den Rasen und den künstlich angelegten Wassergraben, in dem sich dicke Koifische tummeln. Im schicken New Holland Viertel Singapurs besuchen chinesische Familien zum chinesischen Neujahr chinesische Familien. Ein Vater steht unten auf dem kurz getrimmten Rasen gelangweilt neben seinem Sohn. Zwei Skulpturen, wort- und bewegungslos. Zwei Menschen aus Singapur. Nur der teure, ferngesteuerte Jeep rast und heult …

1 Kommentar:

constance hat gesagt…

Ich möchte sie verteidigen, die große Stadt, die für eine kurze Zeit meine Heimat geworden ist. Tapfer halten sich die Geschichten über die Verbote und Reglementierungen, die so gegenwärtig sind, dass die ständigen Übertretungen immer auffallen. Tradierte Geschichten, die sich in den Köpfen umsetzen und im Handeln durchbrochen werden.
Singapur, eine grüne Stadt, wohl wahr auch reich und auf ihre Art fürsorglich. Das Geld geht zurück an ihre Einwohner/innen. Die Betonwüsten sind dem Programm geschuldet, dass jeder Bürger seine eigenen vier Wände haben soll und Singapur seinen 4 Mio Einwohnern jedweder Nation Wohlstand bieten möchte. Es gibt keine Arbeitslosigkeit, die Arbeitnehmer/innen zahlen in individuelle Sozialfonds, aus denen sie dann ihr Eigenheim, ihre Rente, ihre Gesundheitsfürsorge finanzieren. Fürwahr es gibt für alles Programme, Junge sorgen für ältere Mitbürger, Rentner werden in Workshops auf ihre freigesetze Zeit vorbereitet, selbst eine Singlebörse wurde mal staatlich initiiert (so spart man die Gebühr für die einschlägigen Internetplatformen a' la Germany).
Für uns Individualisten ist es überregelt.
Sie ist schnell gewachsen, diese Inselstadt auf 700qm Kilometern, sie ist auf den ersten Blick
wenig brüchig/glatt eben, ein bißchen müde und mürbe geworden, denn sich in den Strömen zu bewegen und von allem zuviel zu haben, scheint anstrengend. Die Parks und Countryside wird nicht genutzt, die Sonne könnte der elfenbeinfarbenen Haut schaden, so bewegt frau sich dann doch lieber unter dem Regenschirmen, egal ob bei Regen oder Sonne oder noch lieber in den klimatisierten Shoppingmails. Nur früh morgens sind die meisten Singapurer schon auf den Beinen und absolvieren ihre Tai Chi Übungen in den Grünanlagen. Im Meer baden zu gehen, ist allerdings wie im Hamburger Hafenbecken zu schwimmen, zumindest bekommt man mit der roten Seite des Radiergummis die Ölflecken wieder weg.
Das freundliche Lächeln auf der Strasse geht unter und findet sich dafür umso mehr im persönlichen Miteinander wieder. Noch nie bin ich so rundherum versorgt worden, habe jedwede Unterstützung bekommen und war quasi in Obhut sensibler Aufmerksamkeit.
Erst als ich bestätigen konnte, dass mein Gsst eine E-mail geschrieben hat, dass er gut aus Singapur weg gekommen ist, war der "Doorservice", der das Taxi bestellt hatte, zufrieden/ subtile Anfragen, was ich gerne esse, bewegte meine Kolleg/innen mich durch die ganze Stadt zu lotsen, damit es mir auch schmeckt/ damit ich chinesisch Neujahr nicht verloren gehe, bekam ich die Handynummer des höchsten Managers meines Arbeitsplatzes/ ich habe alle Köstlichkeiten des Feiertages von meiner Vermietern frei Haus geliefert bekommen ...
Viele mehr dieser Aufmerksamkeiten gestalteten meine Zeit hier sorglos - vielleicht ein Spiegel der hiesigen Gesellschaft
Bald zurück im ruppigen Berlin - arm, aber sexy .. - wird mir die Sinnlichkeit und Zugewandtheit von Singapur fehlen.
Und selbst in meinem High-Standard-Apartment habe ich einen nicht gemeldeten Gast: Elfriede, eine Kakerlake, leistet mir Gesellschaft. Singapur eben, sie hält sich nicht an Regeln ....

Constance