In Bangkok habe ich mich verlaufen. Ich beschloss am dritten Abend, in die legendäre Babylon-Sauna zu gehen, denn diese wurde mir von meinen Freunden in Berlin empfohlen. Auf der Silom-road, auf der mein Hotel liegt, herrscht Berufsverkehr. Berufsverkehr kennt man ja aus allen großen Städten. Aber in Asien ist es eine besondere Sache und in Bangkok, meine Lieben, ist das eine ganz besondere Herausforderung. Kurz vor dem Lumpini-Park ist meine Silom-road nämlich achtspurig und zweistöckig. Was unten nicht durchkommt, fährt oben lang, was von rechts nach links will, bleibt in der Mitte stehen. Tausende Motoren heulen, als wollte die ganze 10-Millionenstadt abheben und in einem anderen Sternensystem nach einem neuen Siedlungsort, nach neuem Raum suchen. Ich höre auf meinem Walkman Depeche Mode aus den 80ern. Ich glaube, die Highways hier wurden auch in derselben Zeit gebaut.
Wenn man Musik hört – mir geht es jedenfalls so – dann verwandelt sich die reale Umwelt in eine träumerische Kulisse. Ich laufe zwar die Straßen entlang, wandele durch Kaufhäuser oder Passagen, doch meine Gedanken sind frei. Und schon fliegen sie auf, hier in dieses Auto, wer sitzt darin? Dort in dieses Schaufenster, und dann über das Gesicht der alten Köchin, die im größten Gewühl Suppe kocht, versuchen zu ergründen, wo die beiden schönen, modischen Thailänderinnen arbeiten oder sie erforschen, was im ernsten Ausdruck des Security-Mannes vor der großen Bank verborgen ist. Oh, er lächelt zurück. Bangkok, so will der Name sagen, ist eine Stadt der Engel. Ach wie schön, wenn eine Stadt noch Engel hat. Berlin hat ja auch viele Engel, doch die meisten von ihnen stehen auf den Friedhöfen.
Als ich um die Ecke biege, richte ich automatisch meine Augen Richtung Himmel. Ein riesiger Wolkenkratzer steht vor mir. Jadegrün glitzert er im späten Abendlicht. In vielen Etagen brennen noch Bürolampen, laufen, stehen, sitzen Menschen wie in einem coolen Werbetrailer. Zu seinen Füßen ein weiterer Highway, auf dem sich die roten Rücklichter der Autos wie eine endlos lange rote Schlange klingeln. Ich laufe zu auf den glitzernden Turm, weiche einer weiteren Straße aus, und lande plötzlich in einem vergessen Garten. Neben dem Garten liegt ein Friedhof, klein, angefressen an allen Seiten, von der gierigen Stadt. In einem alten Haus, zu dem der Garten gehören muss, hängt Wäsche auf einer Leine. Im zweiten Stock brennt Licht, zwei Halbwüchsige rauchen auf dem Balkon eine Zigarette. Ich stehe in ihrem Garten, sie winken mir zu und verschwinden dann. Ich betrete den Friedhof, wandere einige Pfade entlang. Die weißen Steine schimmern hell. Einige sind umgestürzt. Vergessen, aufgegeben. In der Dunkelheit erfüllt mich die Ahnung einer Modernität, die hoch, hoch hinaus will und zu deren Füßen soviel Natur, soviel Leben, so viel Tod liegt. Alte Blätter liegen auf dem Boden, ein Strauch ragt hüfthoch. Zwar streckt ein Baum seine müden Äste, doch die erreichen noch nicht einmal den zweiten Stock des alten Hauses. Ich glaube, ich habe lange kein dichteres, kein komplexeres Bild für Endlichkeit, für Entwicklung und Veränderung wahrgenommen als in diesem Augenblick. Und dafür, wie sich die Schichten der Zeit, auf der Vertikalen abbilden lassen. Hier unten der Garten, dort oben der Turm. Haben deshalb die Menschen früher an Engel im Himmel geglaubt?
Ich gehe zurück, finde aber meinen Weg nicht mehr. Nehme mir ein Taxi, der Taxifahrer kennt sich auch nicht aus. Naja, wir fahren erst einmal. Auf einer großen Straße erinnere ich mich, dass ich hier heute Abend schon einmal war. „Left now, then right!“ „Ok Sir!“. Als ich aussteige, stehe ich vor der Babylon-Sauna. Von außen unscheinbar, von innen eine Mischung aus Orient und Asien. Lediglich die Locker erinnern mich an europäische Geradrobenschränke.
Die Architekten des Luxus-Spa müssen begeisterte „Labyrinth-Fans“ sein. Ich glaube, ich brauchte weitere zwei Stunden, um mich grob zu orientieren. Ich kann mich noch gut an das peinliche Gefühl erinnern, vor einer Wand zu stehen, die einem Pfeil nach zu urteilen, eine Tür haben muss, nur habe ich diese nie gefunden. Ich glaub, ich habe meinen Orientierungssinn in Deutschland vergessen.
Als ich später Jade kennenlerne, verstehe ich lange seinen Namen nicht. Das asiatische Englisch kommt völlig ohne J-, S-, T-, D- und H-Konsonaten aus. Dann sagt er erneut, er hieße JADE, so wie der grüne Stein. Ich grinse, JA DER GRÜNE STEIN, hatte ich heute schon mal. Und hab mich danach gleich verlaufen …
(Fotos: Bangkok Centralstation, JADE, Straßenszene, Chao-Phraya-River)
2 Kommentare:
Hallo, Bastian Bretthauer,
ein wunderschöner Text, zieht einen richtig rein in das Stadterlebnis B.!
Weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern: in einer anderen Zeit habe ich mal ein paar Veranstaltungen der Grünen in MV moderiert, da sind wir uns über den Weg gelaufen. Und neulich bin ich mal wieder angefragt worden, und auf meine Frage, was denn Bastian Bretthauer so mache, bin ich auf diesen Blog verwiesen worden.
Schönes Projekt,
alles Gute!
Kai Voigtländer
Ah der Herr Voigtländer. Klar erinnere ich mich noch! Ich hoffe, es geht Ihnen gut und meine Nachfolger melden sich bei Ihnen, wenn mal wieder eine Veranstaltung moderiert werden soll. Dieweil schöne Grüße aus Phnom Penh nach Mecklenburg-Vorpommern!
Bastian Bretthauer
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