Wir sind früh in Siem Riep aufgebrochen. Um fünf schon holte uns Kim‘s Onkel ab. Viele Geschäfte in Kambodscha werden über Familiennetzwerke abgewickelt. Und als ich mich auf Drängen meiner mitreisenden Freundin bereit erklärt hatte, nicht von Siem Riep nach Bangkok zu fliegen, sondern mit dem Taxi zu fahren (8 Stunden!), hatte unserer Tuk-Tuk-Fahrer gleich den richtigen Chauffeur bei der Hand. Onkel Dong. Onkel Dong ist 50 und fährt einen weißen Toyota Corolla. Onkel Dong spricht kein Wort Englisch, hat aber ein ungebrochenes Kommunikationsbedürfnis. Das habe ich schon nach zehn Minuten mitbekommen und mich sofort gefragt, warum ich ausgerechnet wieder auf dem Beifahrersitz sitzen muss und so blöd war, zu sagen, ich würde Khmer lernen. Meine Khmerkenntnisse waren nämlich schon nach fünf Minuten aufgebraucht und wir hatten noch nicht einmal Siem Riep verlassen.
Was mein Betrag zum „Gespräch“ betrifft, ich begann ziemlich schnell zwischen dem ehrlichen Bekenntnis „Knjom man joul de!“ (Ich verstehe nix!) und einem bejahenden aber verlogenen Zuhören like „Ah, ja, bat, Hhm…yes“ hin und her zu schwanken, ein unangenehmer Zustand, der durch die metergroßen Schlaglöcher auf der Nationalroad 6 noch verstärkt wurde. Meine Freundin auf dem Rücksitz feixte und meinte nur lakonisch, ihre Freundin in Indonesien könne die Landessprache schon fließend sprechen. Was für eine schöne Reise!
Irgendwann wurde auch der Onkel ruhig, denn die Herausforderung des Steuerns nahm selbst ihn in Anspruch. Die Nationalstraße 6, die nach Thailand führt, ist von Gerüchten und Geschichten umworben. Sie ist derartig schlecht, dass man sie eigentlich nicht benutzen kann. Der Reiseführer Lonely Planet hat in Erfahrung gebracht, dass die einzige Airline, die von Siem Riep nach Bangkok fliegt, das kambodschanische Verkehrs- und Planungsministerium bestochen haben muss, damit die Nationalstraße nicht und niemals ausgebaut wird. Ich glaube, Onkel Dong, versuchte mir selbiges zu erklären.
Und dann gibt es ewige Grenzstreitigkeiten zwischen Thailand und Kambodscha, so das eine Investition in Infrastruktur für das arme Kambodscha nicht in Frage kommt. Gerade ist der Konflikt wieder aufgeflammt, weil die UNESCO Kambodschas Antrag auf Aufnahme des Bergtempels Preah Vihear in die Weltkulturerbeliste befürwortet hat. Am selbigen Tag hatte ich auch prompt 7 SMS von kambodschanischen Freunden/Bekannten auf dem Handy, wie stolz und bewegt sie doch seien, dass die Thais diesen Tempel auf der Grenze nun nicht mehr den Kambodschanern wegnehmen könnten. „The Thais have lost their face!!!“
Wem auch immer hier was gehört: die Nationalstraße 6 kann ein Lied davon singen. Ich jedenfalls summe auch mal mit, denn das einzige, was an diesem schlammigen, schlaglochreichen Sumpfweg mit einer Nationalstraße zu vergleichen ist, ist die 100 km vor der thailändischen Grenze einsetzende Straßenbeleuchtung. Und diese wurde von Thailand gebaut. Und so spielen sich unter futuristischen Straßenlampen – die natürlich noch nicht brennen, denn für die Stromversorgung ist Kambodscha zuständig – bürgerkriegsähnliche Szenen ab. Onkel Dong lacht da nur schallend, wenn ich mal wieder einen liegengebliebenen LKW mit einem lauten „Oh“ oder einen in das Reisfeld gerutschten Linienbus mit einem „Ah“ quittiere. Da steht ja eine ganze Reisegesellschaft im Schlamm und wartet auf Hilfe! Und 10 Minuten später schlingern wir an einem Traktor vorbei, der dem Bus zu Hilfe geeilt, auch im Graben hängen geblieben ist, was zahllose Kambodschaner veranlasst, neben dem Traktor zu parken und sich geruhsam über die Ereignisse auf der Nationalstraße auszutauschen. Dummerweise haben aber diese ihre Autos, Geländewagen, Fahrräder auf den letzten befahrbaren Flecken der Nationalroad abgestellt, so dass selbst Onkel Dong zu fluchen beginnt. Er weicht aus und wir nehmen Anlauf einen meterhohen Schlammhaufen zu erklimmen. Die Autofenster sind schnell braun, nur wenige Flächen bleiben sauber. Das Auto schlingert seitlich am Schlammberg entlang und schon rutschen wir fünf, sechs Meter hinunter in einen Tümpel, in dem bereits ein Auto zur ewigen Ruhe gebettet zu sein scheint. Die Leute drinnen jedenfalls lesen Zeitung. Na Klasse. Auch unser Auto steht, nix bewegt sich mehr. Aber, Onkel Dong weiß sich zu helfen. Es gibt ja einen Rückwärtsgang. Quälend langsam fahren wir – ich kann es nicht anders sagen, mit dem Rückwärtsgang nach vorn. Das hatte ich auch noch nicht. Wir drehen uns im Kreis, dann gibt es einen Ruck und die Fahrt geht weiter. Ich sage tiefbeeindruckt „Wow“ und Onkel Dong klatscht mir auf den Schenkel. Erleichtert nehme ich wieder die idyllische kambodschanischen Reisfelder in Augenschein, und denke darüber nach, dass mich nie wieder jemand überreden wird, diese Straße zu benutzen.
Zwei Stunden später kommen wir in der Grenzstadt Polpet an. Riesige Casinos auf der kambodschanischen Seite laden zum Glückspiel ein, was in Thailand verboten ist. Wir steigen aus, beinahe rutsche ich aus, denn auf dem Platz vor der Grenze liegt natürlich auch eine zentimeterdicke Schlammschicht, zumindest auf der kambodschanischen Seite. Ich gebe dem Onkel 35 Dollar, ich glaub, die Hälfte davon kann er gleich wieder für die Autoreinigung ausgeben. Ich schleppe meinen Trolley in das kleine schmutzige Grenzhäuschen, rollen kann ich ihn nicht in diesem Sumpf. Auch reicht mir schon aus, dass meine Flip-Flop in regelmäßigen Abständen, den Dreck von hinten auf meinen Rücken schleudern. Es ist irre heiß und als ich vor dem Grenzpolizisten einen Spiegel sehe, sehe ich einen Menschen aus Deutschland darin, der völlig durchgeschwitzt und schlammbekleckert ein große Belastung überlebt haben muss.
Eine Stunde später stellt sich bei mir – auf 4spurigen Autobahn in Thailand, von der Aircondition gut gekühlt - ganz langsam das Gefühl ein, dass es auch schön sein kann zu reisen. Wir haben das Fahrzeug gewechselt und auch den Fahrer, das war so abgesprochen. Und doch bin ich tief beeindruckt, wie Onkel Dong, die Odyssee gemeistert hat. Bestimmt ist er schon wieder auf dem Weg zurück nach Siem Riep, schlingert mit seinem Toyota mit einer atemberaubenden Geschicklichkeit durch den Schlamm, wie die meisten in die Jahre gekommenen Kambodschaner durch die Mäander ihrer versumpften Gesellschaft. Es ist schon verrückt, wie Menschen mit widrigen Umständen umgehen und welche Überlebensstrategien man dabei entwickeln kann…
(Foto: adad)
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