Berge in Kambodscha sind heilig. Sie tauchen auf, unvorhergesehen. Liegen vor einem, wenn man müde von der Hitze der Ebenen ist und erschöpft von der Trostlosigkeit, die von vertrockneten Reisfeldern und staubigen Straßen ausgeht.
Etwas eigentümlich sehen sie aus. Wie Kegel, die ein Riese in Urzeiten in einem Zustand der Verwirrung in der flachen Landschaft hinterlassen hat. Vielleicht sind sie Zeugen eines alten Kampfs von Liebe und Tod. Vielleicht waren ihm die Berge auch nur zu schwer. Sie haben sich seitdem dem menschlichen Zugriff widersetzt. Zwar thronen auf ihren Häuptern oft goldene Pagoden, und Legenden ranken sich seit Jahrhunderten um sie, doch wenn die Natur einen letzten Ort gefunden hat, sich ihre Ursprünglichkeit zu bewahren in dieser seit mehr als 1500 Jahren abgenutzten Landschaft, dann dort, wo Berge stehen.
Die letzten geschlossenen und wilden Waldgebiete Kambodschas, sie liegen auf dem Rücken der Kardamon Mountains, den Elephant Mountains, sie liegen in Bergprovinzen Ratanakiri und Mondulkiri und wie Inseln im Meer auf den seichten Höhen der Kulen Mountains östlich von Angkor. Und eben dort, 40 Kilometer von den Tempeln des einstigen Imperiums entfernt, haben die Menschen das erste Mal die Berge erklommen, um dem Himmel näher zu kommen und ihre Götter zu verehren. Vishna, Shiva, Brahman - noch heute sind die Ruinen der, den drei höchsten Hindugötter gewidmeten Heiligtümer zu bewundern. Verwittert und zerfallen stehen sie dort, doch ihr Zauber ist noch nicht überwunden. Und selten nur, verläuft sich einer der 2 Millionen Touristen, die jährlich Angkor Wat besuchen, auf den abgelegenen Bergen Phnom Kraom, Phnom Bok und Phnom Dei. Dabei sind die Fernsichten auf die dschungelumrandeten Tempel von Angkor Wat oder die Aussichten auf den größten Süßwassersees Südostasiens Tonle Sap spektakulär - wenn es das Wetter erlaubt - gerade weil man in seiner Betrachtung in eine Vergangenheit zurückversetzt wird, die auf der Erde ihres Gleichen sucht. Anders dagegen Phnom Bakheng, der, direkt im Tempelbezirk der alten Angkorstädte gelegen, als zwar ältester Tempelberg Kambodschas gilt, doch pünktlich zu jedem Sonnenuntergang nicht vom späten Licht, sondern vom Blitzlicht erleuchtet wird.
Nun, ich würde niemals von einem Besuch von Phnom Bakheng abraten, denn wer einmal wirklich Treppen in den Himmel sehen will, der sollte diese emporsteigen. Nur ist es nicht ratsam, sich umzudrehen, zu schnell könnte ein böser Schwindel das Abenteuer jäh unterbrechen. Sind schon so viele vom Himmel gefallen.
Abseits von Angkor, auf der anderen Seite des Tonle Sap Sees liegen in der Nähe der träumerisch verschlafenen Stadt Battambang Karststeinhügel, die jeder Kambodschaner kennt, wenngleich die wenigsten von ihnen jemals eine Reise hierher unternommen haben. Der bekannteste Berg unter ihnen ist Phnom Sampeaou, nicht nur weil Kambodschas unsterblicher Sänger Sim Sisomouth ein Lied für den Berg dichtete („Your house is near Phnom Sampeou“). Auch seine grusligen Karststeinhöhlen, in die in den Zeiten der Roten Khmer die „Feinde der roten Revolution“ tausendfach zu Tode gestürzt wurden tragen nicht zum dunklen Ruhm des Berges bei. Es sind auch nicht die 2 Millionen Fledermäuse, die jeden Abend pünktlich zum Sonnenuntergang ihre Höhle verlassen, um als schwarze Schwärme über die Felder zu fliegen. Nein, der Berg ist bekannt durch die Legende von „Neang Rumsay Sok“ (Die Frau, die ihr Haar hinunterließ). Darin sucht der reiche Händler Reachkol vor vielen Jahrhunderten einen Eremiten auf, der ihm rät, Rumsay Sok zu heiraten. Zur Hochzeit, als Zeichen der Liebe, gibt dieser Rumsay Sok eine edelsteinverzierte, magische Stecknadel, um ihr langes Haar zu bändigen. Trotz der Vorsehung heiratet der Händler eine andere Frau, Neang Meka. Das Rad des Schicksals kommt in Gang. Ein Sohn wird geboren, und schon wendet sich das Blatt. Reachkol verlässt nach nur drei Jahren die Geliebte und Ehefrau, um zu seiner einst Angestammten zurückzukehren. Meka ist verbittert und erzürnt – wer würde ihr das verdenken – und sendet das blutrünstige Krokodil Atonn, um Reachkol und Rumsay Sok zu töten. Das Paar flieht in einem Boot, doch das Krokodil kommt näher und näher. Reachkol wirft erst einen Käfig voll von Hühnern dem Krokodil zum Fraß vor und dann einen gefüllt mit Enten. Doch Atonn, das Krokodil der Rache lässt sich nicht ablenken. In höchster Not lässt Rumsay Sok ihr Haar ins Wasser und die magische Haarnadel wirkt. Das Wasser trocknet aus, das Boot der Flüchtenden kommt auf einem hohen Felsen zu stehen, Phnom Sampeaou, und Atonn, das Krokodil sitzt auf einem anderen Felsen fest, gegenüber, und stirbt. Die beiden Frauen steigen dann in die Ebenen hinab und kämpfen um den Mann. Rumsay Sok, die noch immer die magische Nadel hat, siegt und spießt den Kopf der Nebenbuhlerin auf einen Bambus auf und zerstückelt ihren Körper, dessen Teile sie auf der Erde verteilt, die fortan die Ebene der weinenden Frau heißt.
Und die kambodschanische Moral der Geschichte? Rumsay Sok war die nach alter Tradition erwählte Frau. Das Tabu, eine arrangierte Ehe zu stören, verlangt den Tod der anderen. Dass diese frei geheiratet hatte und sogar einen Sohn gebar, zählte im alten Kambodscha nicht. Der Ehemann, der eigentliche Tabubrecher, geht ungestraft aus. Er sitzt glücklich mit seiner ihm angestammten Frau vereint auf dem Berg und blickt hinaus in die Ebene der weinenden Frau.
Vor den Füßen des Phnom Sampeaou liegt ein kleiner Hügel. Als ich jemanden frage, wie das Kloster auf seiner Spitze heißt, sagt man mir, Wat Ondaek, Kambodschas bekanntestes Vipassana Meditationszentrum. Man sagt mir auch, dass dort vor allem Buddhistische Nonnen ihren inneren Frieden suchen…
Fotos in der Reihe von oben: Kirirom; Phnom Bok; auf dem Phnom Bok mit Polen, Thonevath, Wibke, und einem anderen Angkorforscher; Phnom Kraom; Dara auf dem Phnom Kraom; die Treppen von Udong; Eang und ich auf dem Phnom Sampeaou; Flug der Feldermäuse auf dem Phnom Sampeaou; ich auf dem Phnom Sampeaou; Pagode am Fusse des Phnom Sampeaou; die Ebene der weinenden Frauen mit dem Vipanassa Kloster, Battambang Provinz
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