Sonntag, 13. Juni 2010

Der Dieb, der Wirt, die Frau und kein Liebhaber




Manche Menschen werden von Dieben verfolgt und andere von Engeln. Vielleicht muss man über Leichtsinnigkeit aber auch anders reden. Nicht über Schicksalsboten nachdenken, sondern über Zustände, z. B. in einem Land wie Kambodscha.

Ich sitze gestern mit meinem Freund T. im indischen Restaurant Safran auf der Golden Street von Phnom Penh. In dieser, im oberen Boeung Keng Kang Mui Viertel gelegenen Straße wimmelt es von Restaurants, Bars, Touristen und Tuk Tuk Fahrern. Es gibt Dachgartenrestaurants, Pool Bars, Hotels und Designerbars. Es liegt zwar kein Gold auf der Straße, doch hier lässt sich trefflich Geld verdienen. Oder ausgeben, je nachdem welche Perspektive man vorzieht!

Diese Straße ist im Rausch. Und ihre Gäste sind es auch.
Ein gutes Metier für zwielichtige Gestalten.

Ich sitze mit meinem Freund vor Sinnfragen. Diese haben sich vollständig ausgebreitet auf dem Tisch, wo dampfend das Essen serviert wird. Es wird eng. Warum nicht das Telefon auf den freien Nachbartisch legen, und die Schlüssel für das Motorrad und die Sonnenbrille? Das Restaurant ist leer, bis auf einen Tisch, an dem sich zwei Franzosen mit zwei Spaniern unterhalten.

Ich berausche mich gern an Sinnfragen, vor allem, wenn es nicht meine eigenen sind. Was ist der Sinn eines Lebens im Ausland? Und was bleibt, wenn man wieder geht? Was haben wir für andere hinterlassen? Und was für uns selbst?

Mir fällt dazu immer was ein. Prost! Ein junger Zeitungsverkäufer kommt, keine 20 Jahr alt und hält uns zwei große kambodschanische Zeitungen vor die Nase.

Ich schüttele den Kopf und dann noch einmal. Er bückt sich seitlich und etwas komisch weg und geht. T. ist am nachdenken, ich halte noch mein Bierglas in der Hand, bis der Wirt des Restaurants plötzlich schreit.

In Sekundenschnelle jagt ein großer Inder zur Tür. Packt den schmächtigen Zeitungsverkäufer und wirbelt diesen zu Boden. Die Zeitungen schlittern durch den Raum. Und der Junge hinterher.

Eine Frau kommt rein, eine Freundin aus Belgien. „Was ist denn hier los?“

Der Inder schlägt jetzt den kleinen Kambodschaner, der auf dem Boden um Erbarmen fleht. Drei weitere Angestellte haben sich um den Jungen aufgebaut wie Mauern, Momente von purer Gewalt.

„Wo ist das Telefon?“ Der Wirt schreit, die Frau beschließt sofort, das Restaurant wieder zu verlassen. Auch ich sehe T. ratlos an. Was sollen wir machen?

„Ich verstehe hier gar nichts!“ T. hat sich jetzt umgedreht. Der Inder kommt und fragt ihn, ob ihm das Telefon gehöre. Er hält T.’s teures I-Phone in den Händen. „Ja, natürlich, das ist meins!“ T. greift sofort zu und blickt auf den Nachbartisch, wo sich die Motorradschlüssel einsam langweilen. „Scheiße, der Zeitungsjunge hatte echt mein Telefon geklaut!“ Der Inder schlägt noch zweimal zu. Der Kambodschaner schreit auf, bevor er von allen Angestellten aus dem Restaurant geschmissen wird. Nur die Zeitungen bleiben auf dem Boden liegen.

Das Telefon, sagt der Wirt kostet doch 600 Dollar. „Ja, sagt T. ich bin auch zu blöde. Ich lass es immer auf dem Nachbartisch liegen!“ Neben den Sinnfragen quasi, die sich nur ganz wenige Menschen stellen. Oder, die sich zu stellen, nur ganz wenige Menschen leisten können.

Für 600 Dollar steht halb Kambodscha 10 Monate in einer Nähfabrik und schuftet sechs Tage die Woche. 600 Dollar forderte unlängst ein Polizist von einem französischen Freund, der in seiner Wohnung ausgeraubt wurde und den Vorfall auf dem Revier zur Anzeige brachte. „Ja, ohne eine Vorabzahlung könne die Polizei hier nicht arbeiten. Kostet ja alles Geld, telefonieren, herumfahren, recherchieren, andere bestechen, um was rauszubekommen!“

Und viele Dollars waren in der Tasche einer Freundin, kurz vor Mitternacht vor zwei Wochen. Freitagabend. Fünf vom Leben, vom Glücklich-Sein, vom Wein beschwipste Ausländer. Das offene Tuk Tuk knattert fröhlich, und unser Gelächter kullert über die Uferbrüstung des Mekongs. Ahnungslosigkeit, verstärkt von einer milden Brise, die vom Fluss in die Seelen weht. Und dann ein Schrei. Nicht laut, eher ein aufgeschreckter Schrei. „Meine Tasche!“ Von den Schenkeln heruntergerissen von einem vorbeifahrenden Moped. Zwei Männer. Zwei Profis. Jung und geschickt. Es dauerte nur eine Sekunde.

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