Die Kinder in der Waisenschule stehen in einer Reihe. Das kleine Mädchen blickt aufgeregt den Mönch an, der ihr erklärt, wie sie sich zu bewegen hat. Die Dezembersonne wirft Lichter durch das Blattwerk des mächtigen alten Mangobaumes, die über den Schulhof tanzen.
Der für Medianarbeit zuständige Mitarbeiter meiner NGO kniet in zwei Meter Abstand vor der 6jährigen. Sie wirkt überfordert, hilflos. Seine Fotokamera ist startbereit. Es ist eine Zeremonie. Auch ich weiß, dass auf mich meine Rolle wartet, wie auf jeden anderen. Der Direktor gibt ein Zeichen. Und los geht’s. Der australische Donar überreicht dem Mädchen eine nagelneue Schultasche und eine Schuluniform. Er strahlt das Mädchen an, und beugt sich hinunter. Glänzende Augen. Das Mädchen hat die Handflächen vor ihrer Brust zusammengelegt und bedankt sich demütig: „Thank you! Thank you!“ Die durchsichtige Zellophanverpackung knistert unschlüssig in den Händen des Kindes.
Der Australier, der Direktor und das Kind, sie stehen in einer Reihe vor der Kamera, die den Akt des caritativen Helfens für die Nachwelt fixiert. Und das 45 mal. Es ist zweifelsfrei eine Serie der guten Taten, geschossen an einem sonnigen Vormittag, in einem Elendsquartier von Phnom Penh!
Zieht man aber über die Köpfe der drei Akteure eine Linie, dann stürzt diese vom großen Australier hinunter auf den Scheitel des kambodschanischen Direktors und fällt dann schließlich hinab auf das Kind. Diese unsichtbare Linie geht an diesem Dienstag in der Waisenschule der NGO in der freudigen Grundstimmung der ca. 50 Anwesenden unter. Und doch weist diese, mit Bedeutungen verknüpfte Linie mittelbar auf eine Beziehungsästhetik, in der sich Helfer und Hilfsbedürftige nicht nur freudig, wechselseitig bestätigen, sondern auch binden. Diese schöne Linie nämlich, ist auch ein Strick. Sie hat sich um die Hände der einheimischen Empfänger gelegt, die sich dankend zusammenfalten. Sie fesselt die lokalen NGOs, die routiniert mit ihren Händen an den Türen des Reichtums anzuklopfen gelernt haben. Selbst der reiche Australier, aus der Welt des Überschusses, der schon bald wieder in sein Flugzeug steigen wird, nimmt seine Handfesseln mit. Alles ist reziprok. Hände geben, Hände verteilen, Hände empfangen. Und das seit Jahrzehnten.
Schlechtes Gewissen
Ein Volontär aus England verabschiedet sich. Er hat die Waisenkinder am dreckigen Boeung Kak See 2 Monate lang kostenlos unterrichtet. Nun sitzt er auf dem Ledersofa in der Lobby und hat Kekse und Schokolade mitgebracht. Meine kambodschanischen Kollegen haben eine Karte geschrieben und sich herzergreifend bedankt. Gelernt ist gelernt! Das in der Eile des Abschieds nicht mehr Zeit war, eine neue Karte zu schreiben, weil im Eifer des Gefechts, das englische „From the bottom of our hearts…!“ in Verwechslung geriet mit dem „From the heart of our bottom…“ hat noch einmal zur allgemeinen Belustigung beigetragen.
Später sitzen wir allein. Wir reden und ich frage ihn, wie es ihm geht. Er räuspert sich und sagt dann leise, dass er das alles hier sehr gut, sehr richtig fand. Nur, meint er, bliebe ein seltsames Gefühl. Er fühle sich ein wenig beschämt, weil er den Kindern nur 2 Monate kostenlos Englisch Unterricht erteilen konnte. Andere Volontäre, so wurde ihm mehrmals - natürlich indirekt - zu Verstehen gegeben, andere hätten darüber hinaus, noch Sachspenden dagelassen, Spielzeug, Lehrbücher oder Geld. Aber er habe kein Stipendium bekommen, und den Flug, die Miete, Essen, Unterhalt selbst aufbringen müssen. Ich sehe ihn verdutzt an. Kein Geld verdienen und anderen helfen, wie kann es sein, dass man sich danach schlecht fühlt? Doch meine Gedanken ziehen schon weiter, hinein die Welt meiner Kollegen. Ich sehe die Linien ihrer Erwartungen. Wir brauchen doch immer noch viel, viel mehr…
Geben, Geben, Geben!
Kambodscha ist Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Bis heute hat Deutschland Kambodscha mit rund 224 Millionen Euro unterstützt. Für die Jahre 2007/2008 sagte die deutsche Bundesregierung insgesamt 34 Millionen Euro an technischer und finanzieller Zusammenarbeit zu. Da Kambodscha zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehört, erhält es ausschließlich Zuschüsse. Mehr als 50 Prozent des Staatshaushaltes werden von ausländischen Gebern finanziert. Kambodscha hängt am Tropf!
Und da das Land nach 30 Jahre Bürgerkrieg und Genozid am Boden lag,
bemühte sich die internationale Staatengemeinschaft, das Land wieder aufzubauen. Straßen, Häuser, Brücken, Schulen, Krankenhäuser, Lebensmittel, Medikamente. Wiederherstellen, Aufbauen und Gesundmachen, das waren die gutgemeinten Absichten des Gebens. Dabei war die Entwicklungshilfe fast ausschließlich technisch angelegt. Waren wurden verteilt, Infrastruktur wurde gebaut. Doch durch diese Art der Entwicklungshilfe wurde nicht nur recht erfolgreich eine Infrastruktur erbaut, sondern zeitgleich auch ein bestimmter Habitus, ein besonderes Beziehungsgeflecht errichtet. Hier diejenigen, die Haben und Geben, dort die, die empfangen und nehmen. Es wundert nicht, dass
Entwicklung in diesem System von den meisten Beteiligten verstanden wird als ein Prozess von einem Zustand, nichts haben zu einem, Dinge, Güter, Ressourcen zu haben. Selbst der ideele Transfer von Bildung und Wissen, reproduziert die beiden Extreme, sieht hier Menschen, die keine bauchbaren Kenntnisse haben und dort solche, die Knowhow vermitteln, weil sie viel Wissen haben, was besonders die partizipatorisch arbeitenden westlichen Trainer irritiert. Da stehen sie also vorn und mit besten pädagogischen Absichten und sehen sich Kambodschanern gegenüber, die getreu dieser extremen Beziehungslogik unterrichtet werden wollen. Du bist der Sender und wir die Empfänger, das ist doch schon seit langem so. Sagte nicht unlängst ein kambodschanischer Student zu seinem westlichen Prof: „I pay the money to have you as my teacher, so why do I need to think and contribute my ideas? I pay to get the knowledge from you!
Helfen ist mehr!
Ich will jetzt nicht den Titel des in die Jahre kommenden philosophischen Bestsellers „Haben oder Sein!“ bemühen, doch in gewisser Weise geht es genau darum. Auf kambodschanischer Seite ließe sich die Abhängigkeitsbeziehung zum Westen so formulieren: Wie müssen wir eigentlich sein, um etwas aus dem Westen zu haben (bekommen)? Der Westen anderseits steht vor der Frage, was müssen die Kambodschaner haben, um endlich selbstständig zu sein?
Das Vertrackte daran ist, dass mit jedem Akt des Helfens verstanden als Geben und Nehmen, auf kambodschanischer Seite eine Geste der Dankbarkeit ausgelöst wird, die dafür sorgt, das auch Morgen und Übermorgen noch gegeben wird. Das Serielle des Gebens macht nicht nur dankbar, sondern auch abhängig! Es ist eine Narkose, die noch lange wirkt.
Schon immer hat der Buddhismus dafür gesorgt, dass die Mächtigen gute Gründe fanden, Dinge zu geben, die die Armen brauchen. Ja mehr noch, dieser Kreislauf des Helfens ist der unangefochtene Weg, gutes Karma zu sammeln. Wer fiel gibt, hat bessere Chancen aus dem karmischen Kreislauf der Widergeburten auszuscheiden, und im Nirwana zu verwehen. Und auch wenn im Nirwana das Anhaften an den Dingen überwunden ist, an der strukturell ungerechten Ökonomie, die unterhalb des caritativen Akts liegt, ändert sich nichts.
Doch auch wenn sich das Buddhistische Rad des Schicksals weiterdreht, es ist den Akteuren erlaubt, über ihre latente Komplizenschaft nachzudenken, über ihre Reziprozität von arm und reich, Osten und Westen, die durch das Helfen angefeuert wird.
Dabei kann Helfen weit mehr sein, als Dinge zu geben. Es ist Zeit, sich Gedanken zu machen, Diskurse anzuzetteln, darüber, welche Beziehungen eingegangen werden und welche Abhängigkeiten sich zementieren. Wer wirklich helfen will, muss Verteilungsprozesse besser verstehen und deren Konsequenzen.
In unserer Welt gab es Geschenke noch nie umsonst.
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