Das Board Meeting in der NGO sollte eigentlich schon längst angefangen haben. Der Direktor schlendert aufgeregt im Hof herum. Auf der Straße rollte ein Händlerwagen vorbei. Aus dem kleinen Lautsprecher schallt laut „MOAN“, „MOAN“ (Eier, Eier). Es hört sich an als würde ein kranker Kater mautzen. Nicht gerade appetitanregend. Wie auch die Eier selbst, die aufgeplatzt sind und aus denen das gekochte Eigelb grinst, wie der kleine Stoffzipfel aus den Drei Haselnüssen von Aschenbrödel. Es ist halb eins. Lunchzeit. Und in Kambodscha brütet die Sonne vor sich hin. Auf dem langen Konferenztisch langweilen sich kleine Wasserflaschen und irgendwo bleibt eine Uhr stehen. Ich vertreibe mir die Zeit wartend auf dem riesigen Balkon im ersten Stock.
„Hast du schon gehört, dass uns gestern Nacht die Thais angegriffen haben? Retiü, der Abteilungsleiter Finanzen, kommt langsam auf mich zu. „Ja! Habe ich gehört!“ „Oh, das ist schlimm. Sie wollen uns den Tempel Preah Vihear wegnehmen.“ Ja, die Thais, denke ich, und die Kambodschaner. Und schaue ihn fragend an.
„Sie haben zwei kambodschanische Soldaten erschossen und sind tief in unser Land eingedrungen. Es ist wieder Krieg.“
Ich schaue auf den Nachbarhof. Eine Gruppe Kambodschaner vertreibt sich die Lunchzeit, in dem sie zwei Kampfhähne aufeinander loslässt. Federn fliegen. Männer lachen. Hähne kämpfen. „Thailand will unseren Tempel. Und sie geben nicht eher Frieden, bevor sie ihn bekommen haben.“ Und die Kambodschaner schießen zurück, denke ich. „Ich bin im Krieg großgeworden. Krieg ist fruchtbar. Ich kenne das!“ Retiü, 1973 geboren, hat fast zwanzig Jahre Krieg, Genozid, Bürgerkrieg überlebt. Seit knapp 10 Jahren ist Frieden in Kambodscha. „Ja“, entgegne ich. „Es ist schlimm, doch Kambodscha hat die ganze Welt auf seiner Seite. Und das ist gut“. Und tatsächlich, der Hindutempel der Khmer aus dem 10. bis 12. Jahrhundert, wurde bereits in den 60er Jahren durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag Kambodscha zuerkannt. Und im erst Juni war es, dass die UNESCO den ungewöhnlichen Tempel in die Liste des Weltkulturerbe aufgenommen hat, als kambodschanisches Bauwerk. Damals loderte mein Handy ob der zahlreichen SMS meiner kambodschanischen Bekannten. Ob Immobilienmakler, Freunde aus meinem Hotel, Kollegen, Khmerlehrerin, Hauskeeper und Nachtvögel aus Phnom Penh, alle simsten „The Thai lost their face!" Kambodscha war im Freudentaumel und Funken des Triumphs glühten in der nationalen Seele. Ich war gerade auf dem Weg nach Bangkok und wunderte mich in dieser Metropole nur, dass meine Bekannten dort, überhaupt nichts von der Angelegenheit wussten.
„Ja, aber die Welt hilft uns nicht. Hat sie noch nie gemacht. Und gegen die Thais können wir uns nur allein helfen.“ Unten auf dem Hof rollt eine weiße Limousine vor. Ein schicker Mann steigt aus und telefoniert. Der Fahrer bleibt im Wagen. „Ah, Board Member eins erscheint“, denke ich. Morokat kommt auf die Terrasse. Sie hat sich umgezogen und trägt eine weiße Bluse. Sie hat immer weiße Kleider an, wenn Gäste kommen, hat sie mir mal erzählt. Als Programmleiterin ist sie meine engste Kollegin und ich schätze sie ungeheuer. Auch sie hat alles durch.
Von Pol Pot ermordete Familienangehörige, eine tyrannische französische Familie, für die sie schon mit 10 Jahren arbeiten musste, bevor sich irgendjemand fand, der ihr ein Studium finanzierte. Jetzt sitzen wir jeden Tag zusammen und brüten darüber, wie wir die Arbeit der NGO verbessern können. Morokat ist ein Licht, ist Hoffnung und Kraft. Ich kann mir gar nicht genug ausdenken, ihre Qualitäten zu beschreiben. „Bastian, weißt du schon, dass der Direktor überlegt, unseren Workshop Ende des Monats zu verschieben?“ fragt sie mich. „Nein, wieso?“ Ehrlich gesagt fände ich das nur gut, wenn wir diesen Workshop verschieben könnten. Ich muss ihn leiten und sehe schon wieder Wochenendarbeiten auf uns zukommen, denn an eine Vorbereitungszeit hat keiner gedacht. „Die Transportkosten haben sich vervierfacht. Wir können die Reise unserer Kollegen aus Battambang und Siem Reap nicht bezahlen. Wegen Preah Vihear.“ Ich verstehe das nicht. „Ja, die Menschen aus der Tempelprovinz flüchten und haben alle Transportfahrzeuge geordert. Es herrscht jetzt Mangel an Benzin, an Fahrern, Fahrzeugen.“ Das hätte ich nicht gedacht. „Die Thais geben nicht Ruhe. Die Thais wollen Krieg!“ Morokat ist sonst an buddhistischem Umgang mit Konflikten nicht zu übertreffen. Saßen wir vor doch vor 4 Wochen an einem Samstag an einer Excel-Tabelle, in die wir mühsam 1000 Daten ein gepflegt hatten, bis sie eine dieser verrückten Excel-Formeln in Gang setze, die in Sekunden die Daten in kryptische Zeichen verwandelte. Ich war kurz davor aufzuschreien. DAS KANN JA WOHL NICHT WAHR SEIN! Atmete aber lieber tief durch und fragte scheinheilig, ob sie bitte die alten Daten wieder hervorzaubern könne. Was nicht klappte und dazu führte, dass wir, nebeneinander sitzend, minutenland schweigend in den Computer starten, eben auf die xyz-2fd Kürzel, die ich mit ungeheurem Hass betrachtete und sie plötzlich anfing, eine buddhistische Geschichte vorzulesen. Eine Geschichte von zwei Königen, die sich über den Grenzverlauf stritten, da über Nacht der Grenzfluss, an denen sich alle gewöhnt hatten, ausgetrocknet war. Eine Geschichte, deren Pointe etwa die war, dass diese beiden Reiche nur scheinbar existieren, wie alles nur Illusion ist, was uns umgibt und die Wahrheit dahinter liegt. Der Frieden. Das es nicht wert ist, ärgerlich zu werden, schlechtes Karma zu sammeln im Kampf um irdische Dinge. Sondern das wir meditierend üben sollten, loszulassen, was die beiden Könige dann auch irgendwann verstanden hatten und ich selbst auch. Loslassen, ausgetrocknete Flüsse, Königreiche und Excel-Tabellen. Und dann ganz ruhig anfing, eine neue Excel-Tabelle anzulegen.
Auch das ist Kambodscha.
„Unsere Arme hat angefangen, Landminen zu legen, um die Grenze gegen die Thais zu sichern!“ Morakat schaut mich an. Unten im Hof fährt eine zweite Limousine vor und dann eine dritte. Die Herrschaften trudeln ein. „Weißt du eigentlich, wie viele Kambodschaner schon auf kambodschanische Landminen getreten sind? frage ich sie. „Ja, aber wie können wir uns anders helfen, die Thais waren schon immer stärker.“ „Das mag sein, aber Landminen halten länger durch als Streithähne und am Ende tritt immer jemand drauf! “ Retiü und Morokat schauen mich an. Sie sind nicht böse, sie verstehen mich nur nicht. Das Meeting beginnt. Die Tagesordnung wird vorgelesen. Morokat berichtet über das letzte Jahr, der Direktor erzählt, dass wir neue Mopeds bekommen werden. Die Board Member essen Hähnchen Keulen und Weintrauben. Diese teuren Früchte gibt es in der NGO nur einmal im Jahr. Am Ende des Meetings fängt ein neues an. Es ist alles in kambodschanisch. Es ist sehr ernst. Ich versteh nur wenig. Doch es geht um den Tempel. Es geht um Preah Vihear. Er ragt auf seinem Kliff wie ein giftiger Sporn in einer langen, blutigen Geschichte. Die Gemüter sind erregt. Alles essen. Alle reden. Nur der gelbe Mönch schweigt.
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