Donnerstag, 9. Oktober 2008

Hotel Hanoi






Vietnam hat so viele Einwohner wie Deutschland. Und genauso wie in Deutschland gibt es ein Nord-Süd-
Gefälle, eine gewisse Anspannung, die verstrittenen Geschwistern gleich immer etwas Unheilvolles in die Familie bringt.



























Der Norden ist kühler, auch in emotionaler Hinsicht. Stärker als der Süden ist er immer unter chinesischen Einfluss gestanden. Der Norden musste sich dauernd des großen Nachbarn China erwehren. Ja, es gibt kaum ein Land, dass so viel um sich selbst kämpfen musste wie Vietnam. Vietnam, das war für viele Jahrhunderte ein Synonym für Krieg. Der Süden dagegen war schon immer den großen Mächten erlegen. Ob Franzosen, Amerikaner oder jetzt Touristen, im Süden hat man munter mit all den Invasionen gelebt und gewirtschaftet. Gefällig, weltoffen, warm und freundlich zeigt sich der Süden, und das leben die Menschen auch jetzt unter der Herrschaft des Nordens, der vor 30 Jahren den Sozialismus in den Süden brachte. Ein Schriftsteller sagte einmal, in Vietnam trennt man sich leise. Vielleicht mag das für den Süden stimmen. Im Norden stimmt es nicht!

Ich werde in meinem Hotelbett wach. Seitdem ich in Asien lebe, habe ich eine Leidenschaft für Hochhäuser entdeckt. Ich schlafe so gerne oben. Vielleicht liegt es daran, dass ich eigentlich fast immer alleine schlafe, vielleicht liegt es an dem Bedürfnis nach Luft und Licht. Ich will was sehen können, wenn ich morgens die Augen auf mache oder abends zu. So suche ich mir auch in Hanoi ein Hotel mit Aussicht. Ich wohne im achten Stock. Unter mir die Stadt. Hanoi. Großzügig, grandios, verrückt, wild und bestechend schön. Über mir der Himmel, tropisch grau, es ist Regenzeit. Es ist acht Uhr. Es ist warm. Es ist schön. Ich habe Urlaub. Ich bin im Hotel „New Paradise“!

Gegen neun Uhr betrete ich die Lobby und bestelle mein Frühstück. Die Hoteliers Frau stellt Rosen ein. Langsam, fast traurig arrangiert sie den Strauß an der Rezeption. Minuten verstreichen und ich frage mich, wieso sie diesem Strauß von blassen Rosen soviel Liebe schenkt. Sie sollte mal lieber meine Minibar auffrischen, die ist schon seit zwei Tagen trostlos und leer. Mein Frühstück kommt. Da die Menschen in Asien nie ein europäisches Frühstück zu sich nehmen, sondern lieber Reis- oder Nudelsuppe löffeln, bekommt man dann als Europäer was serviert, was man ich Asien auch nie essen würde. Das angebrannte Baguette ist nur vom Namen her französisch, der Kaffee ist schwarz und zuckersüß. Butter gibt es nicht, so schmiere ich mir also viel Chilisoße aufs Brot. Drei ältere Britinnen kommen in die Lobby und tuscheln unter großen Hüten ganz amused. Das Hotel kümmert sich um die Rosen, die Zeit verstreicht.

Dann, plötzlich, kommt ein Mann herein. Vielleicht 40 und todsicher schlecht gelaunt. Er tritt an die Rosen und schreit. Er schreit und zetert, wie ich das nur von Vietnamesen kenne. Er schreit durch die Rosen, die gleich noch blasser werden. Er flucht, dass die Frau hinter den Blumen gar nicht umhin kann, das Arrangieren der Rosen einzustellen. Er findet gar keine Ruhe. Er ist der Ehemann. Ich verstehe kein einziges Wort. Die Frau bewegt sich jetzt gar nicht mehr. Sie sieht in eine Ferne, die nicht von hier ist. Sie sieht weit weg. Ich sehe auf meinen Teller und die Britinnen in alte Prospekte, die sich schon gestern angeschaut haben. Das ein Mann so schreien kann!

Natürlich ist die Stimmung in der Lobby gekippt. Im „New Paradise“ fühlt sich jetzt keiner wohl. Er ist verrückt. Er ist cholerisch. Es ist jetzt ganz schlimm. Ich starre immer nur in das Gesicht der Frau. Und die Frau starrt mich an. Eine Maske, dahinter Angst. Langläufig bekannt, die asiatische Kunst des Gesichthaltens, finde ich jetzt doch, dass die Frau ihr Gesicht verliert. Sie reißt sich los, sie läuft in die Mitte der Lobby und er hinterher. Die Britinnen schauen entsetzt. Sie schauen wie Frauen, wenn ein Mann explodiert. Ich schaue auch wie ein Mann ausrastet, wie er wilder noch und unbeherrschter wird. Sie läuft vor Angst, wie jemand läuft, der nicht weiß, wo er hin soll vor Angst. Sie dreht sich im Kreis wie eine alte Tänzerin, müde vom Haltung bewahren, müde vom Schönsein. Sie strauchelt zum Fahrstuhl. Sie ist jetzt aufgelöst. Er rennt hinterher. Und er schlägt zu.

Ich springe auf und brülle. Ich kann gar nicht anders. Das passiert einfach so. Ich denke nicht nach. Ich hole die Frau aus dem Fahrstuhl raus. Er kommt hinterher. Sie weint nicht. Sie hat schon genug geweint. Sie setzt sich an meinen Tisch. Sie starrt mich an. Er kommt auf mich zu. Oh scheiße. Jetzt setzen die Gedanken wieder ein. Ich hasse das.

Meine Freundin kommt in die Lobby und eine Nonne aus dem 7. Stock. Meine Freundin sieht die Frau und fasst sie an. Frauen können das. Die Nonne fasst den Mann an und gemeinsam fahren sie hoch. Unter den Hüten zittern die Britinnen, und im Aquarium zieht ein Fisch seinen lautlosen Kreis. Und die Frau lächelt uns an. Ein wortloses Schweigen. Ein Kopfschütteln. Scham und Entsetzen. Meine Freundin hält noch immer ihren Arm, der langsam ganz ruhig wird.

Später wird man mir in einem anderen Hotel erzählen, dass die Familie unglücklich ist. Später sagt man, sie kommt aus dem Süden und er aus dem Norden. Und das er so viele andere Frauen hat. Hanoi ist ein Dorf, die Straße weiß Bescheid.

Ach, und in Vietnam trennt man sich, wie überall, leise und überhaupt nicht leise!

Wenn man sich trennt!

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