Sonntag, 13. Februar 2011

Myanmar 4: On the road to Mandalay









December 25, 2010 – January 9, 2011

Brauner, sandiger Staub auf der Straße wirbelt empor. Der Kaffee in der Tasse vor mir auf dem Tisch zittert. Alle blicken auf!

Ein alter Lastwagen, beladen mit tanzenden Jugendlichen, keine 18 Jahre alt, donnert durch das grüne, sonst ruhige Tal in Mrauk U, keine 100 km von der Grenze zu Bangladesch entfernt. Aus riesigen Boxen dröhnen die Top-Hits aus dem Westen, zumindest die, die wir vor 10 Jahren gehört haben: Allen voran Celine Dion’s Erfolgssong „My heart will go on!“. Das langsame Lied vom Untergang der Titanic wird durch einen treibenden, mitreißenden House-Rhythmus aufgeheizt, der die Jugend auf dem Laster zum beben bringt. Melancholie mischt sich mit feurigem Elan; der brüchige Ladeplatz eines metallgrünen Lasters aus den frühen 60ern wird zur Tanzfläche der neuen burmesischen Generation. Ich wusste gar nicht, dass man in einer Militärdiktatur so laut Musik hören darf!

In Yangon hängen lange Seile aus allen Häusern, Wäscheleinen, Stromkabel, Drahtseile, Strippen. Sie schwingen vor verrußten Betonfassaden seicht im Wind wie Trauerweiden. Was für eine Sehnsucht nach Besuch, denke ich mir, in einem Land, in dem es in vielen Stadthäusern keine Wohnungsklingeln gibt und sich Besucher nicht anders ankündigen können, als die kleinen Glocken zu läuten, die oben in den Wohnungen mit den Seilen verbunden sind. Es ist ja meistens jemand da.

Am Sekretariat, dem größten Verwaltungsgebäude des Britisch Empire in der einstigen Kolonie Burma, klingelt dagegen niemand mehr. Verlassen liegt das Monstrum zwischen Anawratha und der Maha Bandoola Street im Herzen Yangons. Man wundert sich, wieso die wilden Bäume auf seinen Dächern schon so groß sind, wo doch die Junta erst vor drei Jahren begann, achtspurige Straßen und hochmoderne Wohnblöcke in der neuen Retorten-Hauptstadt Nay Pyi Taw zu errichten, und die vielen Verwaltungsgebäude Yangon‘s leerzuräumen. Ob die neuen Hauptstadtbewohner einst Hausklingeln haben werden?
Nay Pyi Taw, so hört man, protze mit Statussymbolen, über die man sich nur wundern kann. Offiziell wurde die "strategisch günstige" Lage zwischen Rangun und der zweitgrößten Stadt des Landes, Mandalay, als Grund genannt, eine neue Hauptstadt mitten im Dschungel zu bauen. Gerüchten zufolge wollen sich die Generäle durch den Umzug aber vor Invasionen und vor Massenprotesten in der Fünf-Millionen Metropole Yangon schützen. Nay Pyi Taw, aus dem Burmesischen übersetzt "Sitz der Könige" ist so abgeschottet, wie die berühmte Verbotene Stadt in Peking, als dort noch die Kaiser lebten.

Die Junta hat Angst vor dem Volk und den vielen ethnischen Minderheiten, die in den letzten Jahrzehnten schon mehrmals brutal auf den Straßen zusammengeschossen wurden. Fast möchte man denken, die vielen rostroten Flecken auf Myanmars Straßen erzählen von seiner blutigen Geschichte. Überall findet man sie, die handgroßen Zeichen des Betelnusskonsums, hingespuckt, ausgespien, rote Pfützen auf Bürgersteigen, Hauswänden, dem Straßenasphalt und sogar auf den weißen Fliesen der Pagodenvorhöfe. Ein ganzes Land kommt auf die Nuss, die hoch oben in Palmen wächst und zusammen mit gelöschtem Kalk und süßen Gewürzen in ein kleines Betelpalmenblatt gewickelt wird. Ganz Burma kaut, färbt sich die Zähne rot und spukt in hohem Bogen aus.

Selbst im Nationalmuseum von Yangon lässt sich die Betelnusskultur studieren. Goldene und silberne Bettelnussschalen und mit Rubinen besetzte Spuknäpfe künden vom Geschmack der einstigen Könige wie die Royal Regalia von ihrem unermesslichen Reichtum.

Damals saß der letzte burmesische König Thibaw in Mandalay noch auf seinem goldenen Lion Thron. Hielt Gericht, was nicht mit Gerechtigkeit zu verwechseln ist, und folgte den Einflüsterungen seiner für ihre Grausamkeit berüchtigten Frau, Königin Suphayarlat. Eine blutige Rochade brachte ihn an die Macht, nahezu 80 königliche Familienmitglieder wurden seinerzeit umgebracht – ein Massaker, das den Briten einen weiteren Anlass bot, mit einer mächtigen Armada den Irawadi hinauf zu dampfen, und im dritten und letzten britisch-burmesischen Krieg die Königsstadt Mandalay in nur 14 Tagen im Jahr 1885 zu erobern.

Heute vergilbt das königliche Paar im Nationalmuseum, denn die alten Original-Fotographien sind dem tropisch feuchten Klima nicht gewachsen. Ihre Kostüme, so unermesslich reich mit kostbaren Edelsteinen besetzt, wirken gespenstig wie ihre kindlichen Gesichter, denen man alles zutraut, nur nicht Mord.
Jetzt, wo die königlichen Reminiszenzen nur noch in Yangons Museums-Vitrinen glitzern, der goldene Teakholzpalast von Mandalay am Ende des Zweiten Weltkrieges im Bombenhagel der Alliierten unterging, um jüngst durch ein modernes Replikat aus Beton ersetzt zu werden und man mir zuraunte, der Song von Robbie Williams sei viel schöner als die von ihm besungene Stadt, wanderte ich nicht auf dem Weg nach Mandalay.

Robby Williams: „On the road to Mandalay“

Save me from drowning in the sea
Beat me up on the beach
What a lovely holiday
There's nothing funny left to say

This sombre song would drain the sun
But it won't shine until it's sung
No water running in the stream
The saddest place we've ever seen

Everything I touched was golden
Everything I loved got broken
On the road to Mandalay
Every mistake I've ever made
Has been rehashed and then replayed
As I got lost along the way

There's nothing left for you to give
The truth is all that you're left with
Twenty paces then at dawn
We will die and be reborn

I like to sleep beneath the trees
Have the universe at one with me
Look down the barrel of a gun
And feel the Moon replace the Sun

Everything we've ever stolen
Has been lost returned or broken
No more dragons left to slay
Every mistake I've ever made
Has been rehashed and then replayed
As I got lost along the way

Save me from drowning in the sea
Beat me up on the beach
What a lovely holiday
There's nothing funny left to say.

Fotonachweis: Feiernde Jugendliche auf dem Laster (T. Franke); Boot auf dem Fluss nach Mrauk U; Donation Centre in einer Pagode in Yangon; Yangoner Gasse nahe The Strand Street, Nonnen in Yangon Nähe Unabhängigkeitsdenkmal; Betelnussverkäufer in Mrauk U; Mönche in Mrauk U; Burmesinnen im Morgengrauen; Treppenaufgang zu einer Stupa in Mrauk U (alle Fotos B. Bretthauer)

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