Köpfe, aufgerissene Augen, um sich herumschlagende Körper, aneinander gepresst. So viele, zu viele für diesen engen Ort. Die Brücke zittert unter dem Ansturm der Massen. Schreie, Schweiß, Hitze, und dann versinken Arme, Beine, werden Menschen im Gewühl von Menschen verschlungen. Die Jüngsten, und die Schwächsten zuerst. Irgendwo Sirenen. Ich schnelle empor, wache auf. Es ist drei Uhr, Donnerstagmorgen. Im Traum noch wär ich fast erstickt!
Phnom Penh schläft seit zwei Tagen schlecht. Seine Bewohner wälzen sich in den Betten, von den Bildern des Grauens verfolgt. Und viele schlafen gar nicht. Im Zeitalter der Echtzeitkatastrophen glühen Telefone, jagen Bilder durchs Internet und Familien verbringen Stunden vor dem Fernseher, und können noch nicht begreifen, was sich eben erst zugetragen hat.
Zwei Tage später ist die Stadt wie betäubt. Sie ist beinahe so ruhig wie die Insel im Fluss, vor deren Absperrungen jetzt Soldaten stehen. Menschen schweigen still, beinahe betäubt, starren ins Leere. Und abends sind die Straßen so gut wie leer.
Phnom Penh ist im Augenblick eine der traurigsten Städte der Welt. Noch vor wenigen Tagen galt die Diamond Island als das ambitionierteste Stadtentwicklungsprojekt. Luxuswohnungen waren am Entstehen und Hochzeitspaläste. Zwei Brücken verbinden die Stadt mit der Insel der Diamanten im Mekong, deren klangvoller Name und deren exotischer Ruf noch am Montagabend Tausende auf die Insel gelockt haben.
Das Wasserfestival neigte sich seinem Ende entgegen und die meisten gingen glücklich nach Hause, und viele andere nicht. Das unter den ca. 350 Toten vor allem Menschen aus den Provinzen zu beklagen sind, liegt genau daran, dass diese ihre letzte Nacht in der Hauptstadt noch genießen wollten. Nicht wenige waren das erste Mal in Phnom Penh und staunten über die Wunder der Technik, zu denen eine in der Nacht beleuchtete Hängebrücke in den Augen der aus den kambodschanischen Dörfern Kommenden zählt. Doch zu viele waren gleichzeitig im Begriff, die Insel zu verlassen und drängten sich über die Brücke, die am Ende keinen Ausgang mehr bot.
Zwei Tage später sagt mir ein Mönch, diese Brücke sei nie gesegnet worden! Immer mehr Investoren ziehen Gebäude, Straßen, Brücken hoch, ohne auf die Traditionen des alten Kambodschas zu achten. Immer mehr Unternehmen ignorieren den tiefen Glauben, dass man die schicksalsbestimmenden Kräfte in Kambodscha erst gütig stimmen muss. Nie, sagt er, wurden buddhistische Mönche eingeladen, die Brücke zu segnen, doch jetzt sind die Mönche da, um die alten Bestattungszeremonien zu vollziehen. Sie sollen die Geister beschwören, den unheilvollen Ort zu verlassen. Die Seelen zu befriedigen, die so gewaltsam aus dem Leben getrieben wurden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil den Sterbenden noch nach Aussagen einiger, Handys und Portemonnaies geklaut wurden und man die Polizei beobachtet haben will, die so lange so untätig blieb, schon kurze Zeit später Mopeds zu verschachern, deren Eigentümer gerade umgekommen sind oder noch im Hospital um ihr Leben gerungen haben.
Zwei Tage später sperren Eltern ihre Kinder abends ein, verbieten ihnen, zur Brücke zu gehen. Wenigstens sieben Tage lang. Nach buddhistischen Vorstellungen werden eine Woche lang die Gestorbenen betrauert und Lotusblumen, Kuchen und Bananen geopfert. Bananen kosten auf den Märkten der Stadt schon seit zwei Tagen den dreifachen Preis. Haben Händler kein Gewissen?
Kerzen brennen nicht nur vor dem Absperrgitter zur Insel hin, sondern fast vor jedem Haus. Die Nationalflagge hängt heute auf halbem Mast. In den Häusern ist man nur ungern allein. Stille ist unheimlich, lädt die herumirrenden Seelen ein, sich an den noch Lebenden zu nähren. Reden will jeder, sich entlasten, Trauer aussprechen und Angst, doch nicht zu laut. Viele flüstern, sie wollen nicht noch mehr Böses auf sich ziehen.
Noch zwei Tage später zählt die Stadt ihre Toten, die Zahlen schwanken, denn nicht wenige Kambodschaner haben noch in derselben Nacht ihre Schwerverwundeten abgeholt. Tote, so sagt man, soll man nicht durch die Gegend fahren. In den Hospitälern hängen Fotos der Gestorbenen aus, denn noch immer sind nicht alle identifiziert. Hotlines sind eingerichtet und Millionen SMS rasen durchs Land.
In den Pagoden werden Trauerfeiern abgehalten, fast alle Provinzen haben Menschen verloren, die Klage eilt durchs ganze Land.
In Zukunft, sagt der Mönch, wird man auf der Insel keine Hochzeiten mehr feiern und keine Partys. Der Ort ist verflucht. Diamond Island, so raunt er, ist für die Kambodschaner nunmehr eine Isle oft the Dead.
Fotos: Aus dem kambodschanischen Facebook, Spiegel-online und andere Quellen
1 Kommentar:
wir sind in gedanken bei euch und auch sehr traurig. y.
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