Samstag, 22. August 2009

Die Fahrt ans Meer



Feuchtigkeit kriecht die Scheiben hinauf. Längere Zeit schon haben wir das Reden unterbrochen und schauen hinaus in die Nacht. Wackelnde Schatten. Wie Gespenster. Und dann wieder ein Hase, der aufgescheucht durch das Scheinwerferlicht jagt. Es ist Freitag, der 14. August, 22.00 Uhr. Ich sage nur laut: „Eigentlich könnte man hier einen Gruselfilm drehen!“ „Hör auf!“ flötet Dörte von hinten, „Mir ist schon ganz unheimlich!“ „Ja“ pflichtet Thomas mir bei, „Man müsste nur noch über einen reißerischen Titel nachdenken!“ „Na wie wär’s ‚UND SIE KAMEN NIEMALS AN‘! Ich grinse den jungen kambodschanischen Taxifahrer an, der schon seit einer Stunde schweigt. Er kann uns nicht verstehen. Eigentlich verlief die Fahrt bisher ganz gut.


In Kambodscha ist es nachts dunkler als anderswo. Satt lag noch vor Stunden eine letzte Dämmerung auf den weiten Brachen am Stadtrand von Phnom Penh. Hin und wieder stemmte sich eine Zuckerpalme gegen die ungewisse Zukunft am Highway Number 4, der Phnom Penh und mit Kambodschas Hafenstadt Sihanoukville verbindet. Einsam wirkende Bäume und trostlose Gewerbegebiete. Neben den bestehenden Textilfabriken hätten hier in nicht allzu großer Ferne weitere Textilfabriken liegen können, wäre nicht die Weltwirtschaftskrise gekommen und hätte Kambodschas einzigen Exportzweig niedergerungen. Wir fahren zum Wochenende ans Meer.


Der Highway Number 4 gehört zu Kambodschas besten Straßen. Und wenn sich dennoch jedes Jahr zahllose Kambodschaner hier zu Tode fahren, so liegt es am Umland, dass sich noch nicht auf die neue Beschleunigung einrichtet hat. Fahrradfahrer und Ochsenkarren ohne Licht, betrunkene Dörfler, hellbraune asiatische Kühe oder streunende Hunde treffen auf rasende Autos aus Phnom Penh.


Unser Taxifahrer, der kein Wort Englisch versteht, uns aber versprochen hat, mit seinem alten Toyota für 40 Dollar ans Meer zu bringen, schaut jetzt besorgt auf den aufgewühlten Weg. Er bremst, das Auto steht. Ich sitze auf dem Beifahrersitz, nicht angeschnallt. „Und jetzt?“ Dörte beugt sich nach vorne, der Taxifahrer überlegt. Ich öffne die Tür und heiße Luft schlägt mir ins Gesicht. „Ich geh mal gucken!“ Ich sage dem Taxifahrer, er möge kurz warten und laufe hinaus in die Nacht. Es ist unerträglich heiß oder vielleicht liegt es nur an der Wahrnehmung meines Körpers nach 3 Stunden eiskalter Aircondition. „Hier ist eigentlich gar nichts los!“ Ich lache zurück ins Auto, während Thomas ulkt, dass wir ja trotzdem schon mal die Rücksitztüren verriegeln könnten.


Der Taxifahrer scheint wieder erwacht zu sein und fährt mir langsam hinterher. Als ich ins Auto zurücksteige, frage ich ihn auf Kambodschanisch, was los ist. Er sagt nur kurz: „Diese Straße ist nicht gut!“ Und als ich insistiere, was er genau meint – mir war schon klar, dass es nicht um die Schlaglöcher und Regenwassergräben auf dem Weg geht – greift er sich mit der Hand an seine Kehle und er macht nur: KRICH! „WAS?“ Dörte und Thomas schrecken zeitgleich zusammen. „Er meint, dass man hier ermordet werden kann!“ sage ich lakonisch und fange umständlich an, in meiner Handtasche nach meinem Taschenmesser zu suchen. Wir fahren 10 Minuten im Schritttempo, was die Unheimlichkeit noch steigert. Dann plötzlich tauchen rechts Hütten auf, ein Slum. Alles dunkel. Nur eine junge Frau steht in einem hellen Schlafanzug am Straßenrand und wartet, bis wir vorbeifahren. „Die können wir doch fragen, wo der Otres-Beach ist!“ Der Taxifahrer ignoriert meinen Satz und schaut gebannt auf die nächsten Meter, die vom Scheinwerferlicht erhellt sind.

Und wirklich, wie durch ein Wunder taucht nach 20 Minuten unsere Ferienhaussiedlung auf, spärlich beleuchtet. Wir sind da! Wir sind am Meer.


Die Macht unheimlicher Begegnungen verschwindet am nächsten Tag. Wir lachen noch einmal. Wir spielen noch einmal die letzten Minuten durch. Eckhard, der uns im Guesthouse erwartet , sagt, sein Tuk-Tuk-Fahrer hätte sich vor zwei Tagen auch geweigert, nachts diese Straße fahren, so dass er die letzten 300 Meter mit seinem Freund am Strand gelaufen sei.


Als es Abend wird, beschließen wir, in ein beliebtes Fischrestaurant zu gehen. Und zwischen unseren Hütten und dem Restaurant liegt wieder dieser Weg. Nach 21.00 Uhr fahren wir zurück. Durch das offene Fahrzeug bläst feuchter, warmer Wind. Jetzt sind wir zu Fünft. Und haben einen netten Englisch sprechenden Tuk-Tuk-Fahrer. Wir verlassen die Stadt und fahren hinaus in die Nacht. „Ja, zum Otres-Beach wollen wir, dieser Weg ist schon richtig!“ Ich stupse den Tuk-Tuk-Fahrer an, der jetzt langsamer fährt. Sopera, unser kambodschanischer Freund, tuschelt mit dem Fahrer. Ich verstehe nichts. „Was ist denn nun schon wieder los?“ Dörte kreischt auf: „Ich glaube es nicht!“ Schon wieder ein gruseliges Abendteuer. Ich mach schon mal ein Foto! Kulissen eines albernen, scheinbaren Grauens . Übermütig lachend verteilen wir unsere Waffen. Taschenmesser, Bierflasche und Mückenspray. So laut wie wir sind, greift uns niemand an. Eins ist klar: Wir schlagen zurück!

Sopera übersetzt, der Tuk-Tuk-Fahrer hätte Angst, diesen Weg später allein zurückfahren zu müssen.

Ja, vielleicht ist doch was dran! „Kein Problem, wir laufen den Rest am Strand!“ „Ja, das wäre gut! Der Fahrer sagt nämlich, es sind auf dieser Straße in letzter Zeit nachts mehrere Motorradtaxi und Tuk-Tuk-Fahrer überfallen und ausgeraubt worden...“


Der Otres-Beach, Sihanoukvilles Traumstrand im Süden, liegt 5 Kilometer von der Innenstadt entfernt. Zu Zeit bekommt man nachts für kein Geld der Welt ein kambodschanisches Taxi dahin.

1 Kommentar:

yadzia hat gesagt…

so wie dörte guckt, kann ich mir nicht vorstellen, dass da jemand gewagt hätte, euch anzugreifen :-))

lg, y.