„Ach, ich wusste gar nicht, dass du auch Ameisen isst!“ Die deutsche Gastgeberin sitzt links neben mir und rempelt mich lachend an… „He likes ants! He likes ants! He is a real Khmer!“ Ihr Geschrei geht im Getöse der Tischgespräche unter, dass sich nach einigen Runden Angkor-Bier - wie zu erwarten war - dann doch noch eingestellt hatte.
Als ich kurz nach 6pm ins Restaurant kam, waren erst wenige Gäste da. Und da ich mit meinen 43 Jahren und meinem Status als Ausländer in der kambodschanischen Respektkultur ganz oben schwebe, grüßten mich die 4 Kambodschaner mit ihren schlapp 20 Lenzen förmlich, wie sich das in Kambodscha so gehört. Und danach saßen wir schweigend beieinander, fremd und von überdimensionalen Fernsehern beschallt, in denen kambodschanische Boxer das Äußerste gaben. Gegen halbsieben war der Tisch voll. 22 Gäste, darunter 3 Ausländer. Mit Rücksicht auf meine, in Kambodscha lebenden, deutschen Blogleser werde ich das hier nicht öffentlich kommentieren, warum die einen Deutschen in Phnom Penh sich abends lieber mit ihres gleichen amüsieren, weit entfernt von diesem Gelage hier, und die anderen schon so weit in Kambodscha angekommen sind, dass sich gar keinen anderen Ausländer mehr an den Tisch trauen! „Wieso hast du denn keine Leute aus der deutschen Community eingeladen?“, frage ich die Gastgeberin, die mit diesem Farewell-Dinner ihren Ausstand nach 6 Jahren Phnom Penh gibt. „Ach, die sind alle so pikfein und spaßresistent, die würden nie in so ein Restaurant kommen!“ Und schon schenkt die Gastgeberin Angkor-Bier nach, obwohl mein Glas noch ganz voll ist. „Danke, ich hab ja noch…“ Wieso muss man sich hier eigentlich hier so die Kante geben? Kann man in Phnom Penh als Ausländer auch zwischen diesen beiden Extremen leben?
Dabei hatte ich gerade so ein äußerst bewegendes Gespräch. Rechts neben mir nämlich, sitzt ein 28jähriger Kambodschaner, der sich für meine Arbeit als Berater in meiner NGO interessiert. Und als ich erzählte, dass in meiner NGO buddhistische Mönchen und Nonnen arbeiten, da leuchteten seine Augen auf. Er sagte, seine Mutter würde seit einigen Jahren als Achar (buddhistische Laienschwester) durch Kambodschas Provinzen ziehen. In ein weißes Tuch gehüllt, hält sie sich in unterschiedlichen Pagoden auf und redet mit den Menschen. Sie macht das, weil sie von Schuldgefühlen geplagt Versöhnung stiften will. Sie, nur sie allein, hat von ihrer Familie den Terror der Pol Pot Zeit überlebt und findet seit dem in ihrem Leben keinen Sinn. Irgendwann erkannte sie, dass Meditation helfen kann, das Trauma zu überwinden, mit dem vor allem die älteren Generationen täglich leben müssen. In einer Gesellschaft, die sich nicht erinnern will und deren Regierung einer öffentlichen und emotionalen Aufarbeitung die größten Steine in den Weg rollt, leben Opfer neben Tätern und manchmal sogar im gleichen Haus. Was sie verbindet ist alles, außer Zuneigung; was sie trennt, ist die Unfähigkeit, einander zuzuhören und zu vergeben. Umso größer ist meine Achtung vor jungen Menschen, die sich in dieser schizophrenen Situation zu Wort melden und sich dem Erzählen ungehörter und unerhörter Geschichten verschrieben haben. So auch Sambas, der einen Videofilm gemacht hat über seine meditierende Mutter, auf die er stolz ist. Es ist ein Kurzfilm. Er zeigt die Techniken der Selbstbesinnung. Er will in einem Monat nach Japan reisen, hat auch schon einen Sponsor gefunden. Er will in Japan seinen Film zeigen und die Geschichte seiner Mutter erzählen. Und er will, dass sich die Japaner mehr in Kambodscha engagieren. Geschichten erzählen und Geschichte aufarbeiten. „Deine Ameisen sind jetzt schon ganz kalt!“ Die Gastgeberin ätzt mal wieder. „Ach ja… sind übrigens die ersten meines Lebens! Hab noch nie welche gegessen.“
Hätte ich gewusst, dass sich unter dem kandierten Schweinefleisch und den Kokosraspeln gebratene Ameisen verbergen, hätte ich diesen Teller nie berührt. „Und schmeckt es?“ Sambas sieht mich grinsend an. „Ja“, sage ich. Wahrscheinlich ist es aber manchmal auch ganz gut, dass man nicht alles weiß…