Samstag, 29. November 2008
Phnom Penh dreht!
Ist es ein Film? Oder ist es Wirklichkeit?
Die Villa strahlt in der Nacht. Ein Krüppel ohne Beine sitzt draußen vor der Treppe. Er besteht nur aus Rumpf und Kopf und guckt einen an. Schaut steil hoch. Seine Augen sind so groß, damit niemand rauftritt. So klein, wie er ist. So viele Leute, die heute hier sind. Detlev Buck dreht in Phnom Penh. Einen Liebesfilm. Genaueres weiß ich nicht. Ich bin nur Komparse. Und 200 andere auch. Tonnen von Kambodschanerinnen, geschminkt und irre jung. Dutzende von Expats. Die sind auch gekommen. Komparsen wie ich. Männer, die in den Nachtclubs der Stadt tanzen und auf Asiatinnen stehen. Frauen, die aus den Provinzen kommen und in Phnom Penh ein neues Leben suchen und das heißt, einen Mann. Ich glaube, diesmal muss Buck seine Komparsen nicht bitten, in eine Rolle zu schlüpfen. Wir sind wie immer, wir sind ohne Rolle da.
Die Villa, in der heute Nacht ein Club ist, ist schon lange leer. Sie hat ein französisches Gesicht. Bevor Pol Pot an die Macht kam, muss es ihren Bewohner hier gut gegangen sein. Sie wurden dann ermordetet. Lange ist keiner mehr eingezogen. Die Zeit der Villen war vorbei. Katzen streuten, Hunde, Krüppel und Bettler, die wie Flechten die Wiederbesiedlung von alten Steinen anzeigen. Eine Bewohnbarmachung des Unorts. Vor drei Wochen war ich schon einmal drin, weil‘s auch in Phnom Penh die Idee gibt, Orte noch einmal zugänglich zu machen, bevor sie sich verändern und die Vergangenheit verschwindet. Denn das alte Haus mit den Fensterhöhlen und Balkonbrüstungen, auf denen kleine Bäume wachsen, erwacht. Mitten in Phnom Penh wird sich die letzte Ruine des alten französischen Viertels in ein 4 Sterne Hotel verwandeln. Im nächsten Jahr schon. Die Villa ist verkauft.
Detlef Buck dreht in der Villa in Phnom Penh. Ich sitze an der Bar und soll mich unterhalten. Neben mir ein Komparse wie ich, Franzose, aus Paris, seit drei Monaten hier. Wir quatschen, wie man quatscht, wenn man quatschen muss, wenn die Kamera läuft. Kambodscha ist schrecklich, sagt Fabián. In seinem letzten Job wurde er nicht bezahlt. So macht er beim Film mit. Er redet auch mit einem anderen Franzosen, der so viel Dreck unter den Fingernägeln hat, dass er hier auch gut den Hauptdarsteller abgeben könnte. Buck‘s Film spielt im Backbacker Milieu. Ein Mann liebt eine Frau. Die Frau ist HIV positiv. Sie lernen sich am See kennen, der gerade zugeschüttet wird. Die Guesthouses an seinem Ufer sind alt und riechen muffig. Man kann dort für 5 Dollar schlafen, für 10 $ ein Kind kaufen und für 100 $ eine Frau ein Leben lang. Das ist die Wirklichkeit, in der dieser Film spielt. Es gibt am See so viele Kröten wie Plastiktüten, die im Wasser treiben. Der See ist ein Klosett. An seinem Ufer kann niemand gesund bleiben. Unsere Szene wird dreimal gespielt. Nicht, dass Wir uns verquatscht hätten. Nein, direkt vor der Kamera bestellen zwei Hauptdarsteller ein Bier und zahlen mit einem 10 Dollar Schein, der vom Barkeeper nicht lange genug auf seine Echtheit geprüft wird. Findet die Regie. Also nochmal, Klappe die zweite, die dritte. Auch der Hintergrund muss stimmen. Wir zappeln im Takt. Die Musik dröhnt. Mittlerweile haben die beiden Hauptdarsteller ihre Girls gefunden und toben auf der Tanzfläche. Dann Lunchpause. Ich gehe raus, am Krüppel vorbei. Der guckt noch immer. Ich rauche eine Zigarette mit einer Frau, die hier die Maske macht. Barbara. Sie ist ganz glücklich, dass ich auch deutsch kann und erzählt mir von ihrer buddhistischen Waschung im Wat. Phnom Penh ist laut findet sie.
In der nächsten Szene müssen wir tanzen. Die Girls und die Männer heizen ein. Lichtspots jagen durch den Saal. Das Kamerateam kriecht wie eine große Schnecke durch den Dreck. San reicht mir bis zum Bauchnabel. So’ne kleine Frau. Sie lacht die ganze Zeit, weicht aber meinem Blick ständig aus, obwohl sie ihn sucht. Ich tanze näher an sie heran, wir heben die Arme und stampfen mit den Beinen. Ein 5 Minuten Track. Ein 40er jähriger Mann neben uns steckt seine Zunge in eine Frau, die sich wie eine Schlange in seinen Armen windet. Sie sehen aus wie ein richtiges Paar. Können Komparsen für 40$ die Nacht so lange knutschen? 40$ kriegen die Expats, die Kambodschaner nur 10. San hat einen Sohn, sagt sie. Er ist schon 18. Sie arbeitet in einem Friseurladen, und sie braucht Geld. Sie ist geschieden, seit 4 Monaten schon. Es war wohl schrecklich. Ich verstehe nur die Hälfte. Ihr Englisch ist bescheiden. Sie kennt nur Worte, auf die es ankommt. Im Film. Im Leben. „Do you have girlfriend?“. „Do you live alone?“ „Do you have good job?“.
Meine nächste Zigarette rauche ich mit einem dicken Amerikaner, der 50 ist. Die Zigaretten hat diesmal Buck spendiert. Irgendjemand von der Produktion findet, im Club wird zu wenig gepafft. Also rauchen wir jetzt Filmzigaretten. Der Ami hat einen Knall, finde ich. Er tanzt, obwohl gerade Pause ist. So auf-immer-lustig. Sein Girlfriend ruft ständig an. Sie können aber nicht reden. Sagt er, und lacht. Er kann kein Khmer und sie kein Englisch. Er sext die Kambodschanerinnen an und die erfahrenen von ihnen sexen zurück. Mein Gott, ist das anstrengend. Ich will hier weg. Doch der Ami quatscht auf mich ein. Seit 4 Jahren ist er hier. Er wollte den Kambodschanern eigentlich die Welt erklären, denn er kenne sich aus in Grundlagenforschung. Wie die Erde entstanden ist. Warum es Fische im Wasser gibt und wieso die Sterne nachts leuchten. Doch die Menschen hier wollen ihn nicht verstehen. Jetzt ist er Englischlehrer. Und verzweifelt im Glück.
Gegen Mitternacht ist Lunchpause. Ich gehe raus. Der Krüppel isst. Er guckt nur auf den Teller. Ach, ich hau jetzt mal ab. Neben meinem Rad essen 4 Kambodschanerinnen auf ihren Mopeds. Sie machen mir Platz und kichern. „Do you had Dinner Sir?“ Ja, sage ich. Was nicht stimmt. Es sind vier Schwestern. Tief ist der Ausschnitt und dick das Make up. Obwohl keine von ihnen älter als 25 ist. „Are you Moviestar?“ fragen sie. Ich lache. Ne, ne. Nur müde. Sage ich. „And you?“ Sehr müde, sagen sie. Aber sie brauchen das Geld. „Good luck!“ sage ich. „Good luck Sir!“
Der neue Detlef Buck Film heißt „Same, same, but different!“ Das ist ein Arbeitstitel. Ich finde ihn blöde. Doch er passt.
Ab November 2009 im Kino, auf dem Filmfestival in Venedig, dann in Deutschland und in Phnom Penh. Hingehen!
Sonntag, 23. November 2008
Das bittere Ende der Hochzeitstorte
Ich kam viel zu früh. Im LUCKY BRIGHT RESTAURANT starten mich die Servicekräfte hilflos an, die Hochzeitsrezeption war verweist, genauso wie die in doppelter Reihe gestellten Stühle an den beiden Seiten des roten Teppichs. „Wir geben uns die Ehre, Sie zur Hochzeit unserer Kinder Rythi Lan and Li Sangun um 4.30pm einzuladen.“ Die glücklichen Eltern des Brautpaares, vier an der Zahl, vier prunkvolle Unterschriften, doch um 4.30pm ist erst einer da: Nämlich Ich!
Ich falte die barock gestaltete Einladungskarte wieder zusammen, sms meinem Freund Kim die Nachricht, dass ich völlig allein im Hochzeitsrestaurant stehe, WEIT UND BREIT KEINE HOCHZEITSGESELLSCHAFT, und mich ganz ohne Gesellschaft fühle. „Habe ich dir doch gesagt, spottet er 10 Minuten später, dass du da frühestens um 5.30 h hingehen musst!“, und zieht mit seinem großen Wagen über den Norodom-Boulevard. Ich sehe im Rückspiegel den Bräutigam stehen. Er schaut mir ungläubig hinterher. Ich meine fast, die Gedanken meines Kollegen lesen zu können. „Wird Bastian wiederkommen?“ Dabei rief ich ihm doch noch zu, als ich den Bräutigam kurz vor dem Eintreffen Kims, das erste Mal zu sehen bekam: Kjnom mork wing morpei niitie! (Ich komme in 20 min wieder). Natürlich war das eine Lüge, denn ich hatte längst beschlossen, dem Rat Kims zu folgen, und mich gnadenlos um eine Stunde zu verspäten, mindestens!
Tatsächlich hat sich die Szene gut eine Stunde später vollständig gewandelt. Zahllose Autos fahren vor, Türen springen auf, rosa, blau, grün oder golden gekleidete Frauen schweben samt Anhang über den roten Teppich, dem drapierten Brautpaar entgegen und am selbigen vorbei. Sie werden strahlend begrüßt, von der Braut mit kleinen süßen Früchten beschenkt und halten Einzug ins dreistöckige Restaurant. Blitzlichtgewitter. Gruppen posieren. Auch ich schreite zielstrebig dem Brautpaar entgegen, mit einem freudigen Grinsen im Gesicht, als hätte ich beide an diesem Tag zum ersten Mal gesehen. Nachdem festlichen Auftakt führen mich Angestellte in den ersten Stock und leiten mich an einen großen Tisch, an dem noch ein Platz frei ist. OH NEIN, DAS KANN DOCH JETZT NICHT WAHR SEIN. Hier kenne ich niemanden. WO SIND MEINE KOLLEGEN? Und schon nehme ich Platz zwischen 4 kambodschanischen Männern, die aus irgendwelchen Gründen auch allein gekommen sind und den Eindruck machen, sie würden an einem Schweige Retreat teilnehmen und zwei französischen Paaren, die, wie ich nach wenigen Sekunden feststellen musste, kein Englisch und schon gar kein Khmer sprechen können. Ich grüße umständlich und warte, was passiert. Leider nichts! Die vier Kambodschaner starren vor sich hin schon ganz innerlich, die Franzosen unterhalten sich, wie sich Paare unterhalten, die sich auf einmal wieder was zu sagen haben. Die Band vor uns auf der Bühne spielt Lieder, die ganz traurig klingen und ich schreibe SMS. An meine Kollegen: WO SEID IHR? An Kim: ES WIRD LEIDER NICHT BESSER! An meine Mutter: BIN GERADE AUF EINER KAMBODSCHANISCHEN HOCHZEITSFREIER…bis mir mein Nachbar ungefragt Angkor Bier einschenkt. Und Johnnie Walker. Tödliche Mischung! Wir stoßen an. Für Sekunden lächeln, dann glucksen. Genau, einfach mal ein bisschen volllaufen lassen, denke ich mir. Die Stimmung kann nur besser werden. Eine Stunde später ist die Stimmung gekippt.
Der Tisch dreht sich, wie ich erfreut feststelle, es ist ein Drehtisch. Mir dreht sich’s auch schon. Die Gläser klirren. Das Essen wandert nur so herum. Die Kellner schenken Angkor-Bier ein, die Jungs den Johnnie Walker. Sogar den Franzosen wird jetzt warm.
Ich hebe mein Johnnie-Bier-Walker-Glas, um zu trinken und alle unterbrechen das Essen und tosten mir zu! CHEERS!!!! Und so tosten wir uns ins Delirium. Ach so, Regel Nummer eins: Trinkt einer, müssen alle mittrinken. Auch schön! Ich merke, dass die Franzosen nach einer Stunde schlapp machen und heimlich Wasser nachgießen, aber das entgeht den Khmers nicht und dann gibt’s halt den Johnnie mit Wasser. Selbst schuld! Regel Nummer zwei: Wieso gucken die denn so blöde am Nachbartisch? Ach ja, da ist ja noch ein Platz frei und die kriegen nichts zu essen. Gegessen wird erst, wenn all da sind? Genau. Na dann einfach schon mal mit dem Johnnie anfangen, toste ich frech rüber… Und versuche mich weiterhin an der Aussprache eines der am schwierigsten zu betonenden Khmerworte “Tschhnanj?“ (Schmeckt‘s?“) Mein Nachbar grunzt genüsslich: „Tschnanj!“
Gegen 20.00 h bin ich betrunken – nach zweieinhalb Stunden – und treffe plötzlich einen Kollegen, was mich daran erinnert, dass ich eigentlich die ganze Zeit auf meine Kollegen gewartet habe… „Wo seid ihr denn?“ „Khan löe?“ (Oben?), Ach, hat‘s hier noch eine Etage?
Ich reiße mich schwankend von meinem lustigen Drehtisch los, von dem ich überschwänglich verabschiedet werde. Na, da ist ja doch noch richtig Kontakt entstanden. Johnnie sei Dank!
Im dritten Stock angekommen bietet sich mir ein prächtiger Blick auf die triumphale Hochzeitstorte, hinter der sich die völlig erschöpften Brauteltern und das Brautpaar aufgestellt haben. Meine Kollegen sitzen an einem Tisch und kreischen auf, als sie mich sehen. Tami und Morokat glitzern in pink-violett farbenden Kostümen, als wären sie zu ihrer eigenen Hochzeit gekommen. Und die Jungs ziehen mich sofort auf die Tanzfläche. Papiergirlanden jagen über den Tanzboden und die Hochzeitstorte wird mit Chemiefarben bespritzt. Das Brautpaar hat sich schon wieder umgezogen und tanzt nun dreimal um die Torte, die an diesem Abend nicht gegessen wird. Die Brauteltern segnen das Paar. Soksobei. Saisobok. Oh ja, das kann man den beiden NUR wünschen. In Kambodscha wird man oft auf Geheiß der Eltern VERHEIRATET! Die Hochzeit ist eine ökonomische Angelegenheit. Da ruiniert man sich gern zu Tode. Wenigstens die Feier muss stimmen. Niemand soll enttäuscht werden. Glück heißt in Kambodscha, gut versorgt zu werden! Heute stemmen die Brauteltern das Fest. Und ab morgen das Brautpaar den Rest seines Lebens!
Montag, 3. November 2008
Mein singendes, klingendes Helmchen
Sie macht alles falsch! Von einer Seitenstraße schiebt sich ein dicker Jeep der Marke Cherokee Chrysler auf den Norodom, Phnom Penhs schönstem und auch verkehrsreichsten 6-spurigen Boulevard. 100.000 US $ teuer, ein chromblitzendes Goldgewitter. In Phnom Penh verdient ein Kambodschaner im Durchschnitt 70,-US $ - im Monat! Das Ich-bin-reich-macht-mir-Platz-Allradmonster rollt einige Meter an den Rand des Boulevards, auf dem sich hunderte Fahrzeuge, Tuk-Tuks, Modeds, Geländewagen, Holzpritschen, Cyclos und ein Fahrrad drängeln, nämlich meins! Und bleibt stehen. Und zögert und traut sich nicht. Ich schaue neugierig ins Auto. Gibt’s denn sowas? Eine schicke weiße NGO-Lady sitzt am Steuer und traut sich einfach nicht, weiterzufahren. Die hat doch sicher 300 PS unterm Hintern, denke ich mir. Was hat sie denn? Ah, sie ist vielleicht neu hier. Genau, sie hat gestern bestimmt bei der UNICEF angefangen oder vorgestern und nun muss sie das erste Mal mit dem Dienstwagen nach Hause und bleibt vor Schreck erst einmal stehen. Und haben mir nicht gerade meine letzten Besucher aus BERLIN berichtet, dass der eigentliche Kulturschock hier in Phnom Penh darin bestünde, mit dem chaotischen Verkehr zu Recht zu kommen? Dass sie es geradezu lebensbedrohlich fanden, die Straßen zu überqueren. Dabei ist es eigentlich ganz einfach! Der Verkehr in Kambodscha, den Ausländer gerne als Chaos beschreiben, selbst solche, die gerade aus Bangkok einreisen, repräsentiert die Kultur dieses Landes, ihre Werte und Ordnungen, wie kaum ein anderes System der Gesellschaft. Und wenn man das begriffen hat und seine darin enthaltende Rolle angenommen hat, dann kann man hier auch fahren. Auf los geht’s los!
Ich kam im April nach Phnom Penh und kaufte mir am zweiten Tag mein erstes Fahrrad in der Nähe des Phsar Orrusey (Orrusey Markt), einem Betonungetüm, das aus einem Labyrinth von Waren, die niemand kauft und Menschen, die nicht wissen, wohin sie wollen, zu bestehen scheint. Ich saß damals drei Minuten auf dem Rad, bevor meine Stimmung : Ich-bin-jetzt-glücklich-bei-euch-zu-sein!“ umkippte in eine „Ich-habe-mich-verfahren-und
-weiß-vor-Angst-nicht-mal-mehr-wie-mein-Hotel-heißt-Apokalypse“. Ich sprach kein Wort Kambodschanisch, in meinem Ohr dröhnten tausend Motoren und ich schwamm nicht nur in meinem Scheiß sondern auch in dem Verkehrsstrom Richtung stadtauswärts, wie ich später zu meinem Entsetzen feststellen musste. Tatsächlich, als sich der Verkehr, was für ein Anflug von Hoffnung, lichtete, da war ich 10 km weit weg von meinem Hotel. Ich rettete mich dann auf eine der wenigen Grünanlagen und rauchte eine Zigarette, träumte von Hinweisschildern such as „Centre“ oder „Hier-geht’s-zur-Innenstadt“, die es in Phnom Penh nicht gibt, genauso wenig wie Straßenschilder! Ein Kambodschaner sprach mich an, sogar in Englisch. Wir pafften gemeinsam und er erklärte mir den Weg. Auf Kambodschanisch natürlich. Lachend und unpräzise!
Gegen Abend erreichte ich mein Hotel und sprang sofort aus naheliegenden Gründen in den Pool. Greg, der Hotelchef musterte unterdessen mein rotes Rad und setzte sich dann schmunzelnd an den Poolrand.
„Weißt du eigentlich, was du dir gekauft hast?“ fragte er mich. „Ja klar, ein rotes Fahrrad aus China, mit dem ich mich schon mal gehörig verfahren habe“, entgegnete ich lakonisch, und tauchte für längere Zeit unter. Mir war irgendwie klar, dass mich eine pädagogische Unterrichtseinheit erwartete, auf die ich partout keine Lust hatte. Als ich wieder die Wasseroberfläche erreichte, begann der australische Hotelier dann auch amüsiert zu dozieren, dass ich mir heute einen äußerst lebensgefährlichen Platz in der kambodschanischen Verkehrshierarchie ergattert hätte. Und zwar GANZ UNTEN!!!
„Also ganz unten, da sind die Hühner!“ sagt er „Und dann kommen die Katzen“ (Ich habe hier noch nie eine gesehen – alle schon überfahren oder was????) „Und dann gibt es erst einmal nichts und dann kommen die Hunde!“ „Okay“, reagiere ich genervt, „Nun sag schon, jetzt kommt der gemeine Fahrradfahrer, oder?“ „Nein, Moment, erst kommen die Fußgänger, quasi vor den Fahrradfahrern. Deswegen gibt es hier auch kaum Fußgänger!“ Stimmt, denke ich, bis auf den Leuten vor den Geschäften und dem Typen in der Grünanlage, habe ich auch wirklich keine Fußgänger wahrgenommen. „Genau, und dann kommen die Fahrradfahrer Bastian! Und dass sind nur Ausländer. Oder hast du heute einen Kambodschaner auf dem Rad gesehen?“ „Nein, habe ich nicht, doch ehrlich gesagt, hatte ich heute eh andere Sorgen!“ „Ja und zwischen Cyclofahrern und Radfahrern, da wird hier nicht so unterschieden. Sie teilen beide das gleiche Schicksal. Sie werden im Verkehr einfach nicht wahrgenommen!“ „Mit der Folge, dass man einfach weiterfährt, sie überfährt?“ frage ich verdutzt. Greg lacht. Und ich tauche mal wieder unter. War der Fahrradkauf vielleicht mein erster Fehler in diesem Land? „Und dann gibt es wieder einen kulturellen Abstand in der Hierarchie, denn die Mopeds und Tuk Tuks haben ja immerhin einen Motor.“ Sagt Greg und ich zähle in Gedanken, an wie vielen Tuk Tuks und Mopeds ich heute im Stau schon mal vorbeigezogen bin. „Ja, und dann kommen die Autos, wobei da natürlich auch unterschieden wird. Alte sind weniger wert als neue, kleine viel weniger als große und die ganze großen, die haben immer Vorfahrt, egal wie klein die Ausfahrt ist, aus der sie gerade kommen, oder die Nebenstraße. Der Verkehr auf der Hauptstraße muss ausweichen. Es sei denn, es kommt ein LKW oder sogar ein Bus. Die haben keine Bremsen und kennen nur das Gaspedal!“ Oh, wo ist eigentlich mein LKW-Führerschein …schrumm, schrumm, schrumm??? Okay, Greg hat mir mal die Welt erklärt und wünscht mir gute Fahrt, bevor er davon schlürft.
7 Monate später weiß ich Bescheid! Die NGO-Lady im dicken Van auf dem Norodom verursacht gerade ein Verkehrschaos, weil sie, kulturell hier hoch gestellt (Ich habe IN DIESEM WAGEN IMMER VORFAHRT , sich so verhält, als müsste sie wirklich von einer kleinen verschissenen Nebenstraße kommend, dem Verkehr auf dem 6spurigen Boulevard Beachtung schenken, was ja in der westlichen Welt eigentlich normal wäre. Sie steht politisch korrekt im Chaos einer Welt, das sie sogar verursacht hat. Was für ein Gleichnis!
Jetzt, 7 Monate später, träume ich davon, zu der Lady zu radeln und ihr zu erklären, dass sie gottverdammt einfach mal fahren soll, egal, was da auf der Hauptstraße los ist. Einfach die Fenster runter kurbeln und rein schreien: GO, GO, GO!!!!
Mittlerweile hat sie die Mitte des Boulevards erreicht, und um sie herum kriecht dampfend und dröhnend der Verkehr wie eine riesige, hungrige Schlange. Ach, soll sie mal sehen, wie sie weiterkommt, denke ich mir. Und ist doch klar, denke ich mir, dass Leute in solchen Autos keinen Schimmer von der Kultur haben, nix mitkriegen quasi in ihrem Aircondition-Gefährt. Da schlägt die Kühlung schon aufs Gemüt! Ja, da kann man schlecht behaupten, man habe Kambodscha erlebt, wenn man nur im Ledersessel kleben bleibt! Anders dagegen die Kambodschaner, die hier mit fetten Mercedes-S-Klassen oder im obzönen HUMMER rummbrettern. Die kennen sich im Land bestens aus und haben im Armenhaus Asiens das große Geld gemacht.
7 Monate später macht mir der Verkehr Spaß. Vielleicht ist es mein Abenteuersinn, meine Lust auf Herausforderungen, vielleicht auch die Musik in meinen Ohren, denn nach zwei Monaten fahre ich mit einem schicken Helm aus Ho Chi Min-City auf meinem chinesischen Mountainbike und höre meinen I-touch trällern. Ich habe ein singendes, klingendes Helmchen! Völlig lebensgefährlich – ich weiß. Aber es ist cool. Es gibt hier keine Helmpflicht, anders, als in Vietnam und man muss ich im Auto auch nicht anschnallen.
Es ist wie Auto Scooter auf dem Rummel, nur ohne Eintrittspreis. Und es macht Spaß. Denn natürlich haben die Kambodschaner auch keinen Bock auf Unfall. Und natürlich gibt es hier auch zahlreiche Regeln. Nur muss man diese kennen. Die wichtigste ist SELBSTBEWUSSTSEIN. Das heißt nicht mit dem Schwanz zu fahren – ihr kennt ja diesen blöden Spruch aus Deutschland, wenn mal wieder betrunkene Halbstarke über die Straße brettern. Sondern mit einem Lächeln im Gesicht Gas geben. Das geht immer. Und bremsen und Gas geben. Wenn man wer ist, wird man auch wahrgenommen. Und alles geht langsam. Langsam! Fahren ist oft schieben, bummeln… 50km fährt hier niemand, vielleicht 20, 10. Schritttempo. Da bin ich mit dem Rad oft schneller. Klar, ich bin hier als Ausländer erkennbar nicht der letzte Arsch in der Verkehrshierarchie. Die Hunde kläffen schon ganz neidisch! Ich schlängele mich nur durch. Und seit dem vor zwei Monaten in der Phnom Penh Post stand, dass aufgrund der steigenden Benzinpreise (zur Zeit 1.45 US$) immer mehr Kambodschaner aufs Rad umsteigen, radele ich auch nicht mehr allein. Auffallend ist auch, dass sich die im Verkehr beteiligten Kambodschaner einen Scheiß um den Verkehr hinter sich kümmern. Das muss man akzeptieren, wenn mal wieder einer von ganz links nach rechts rüber zieht und man aus Versehen (oder weil das Liedchen gerade wieder so lustig war) nicht mitbekommen hat, dass dieser seinen Kopf entsprechend der Richtungsänderung bewegt hat. Denn blinken? Nö, Fehlanzeige! Wieso auch. Rückspiegel? Gibt’s nicht! Hat vielleicht mit dem Zeitkonzept in Asien zu tun. Immer nur im Augenblick sein. Gestern? Was ist das? Morgen? Ja, ja… reden wir dann morgen drüber. Hier und Jetzt. Och, da kann man sich als Europäer viele Therapiestunden schenken. Einfach mehr herkommen und radfahren, statt ewig in der Vergangenheit rumwühlen, sage ich nur. Ganz im Augenblick sein und sich wohlfühlen und nen bisschen aufpassen. Und wenn man mal runter muss vom Boulevard, dann kann man schon zwei Kilometer vorher anfangen, die Fahrbannseite zu wechseln. Ja, genau, ich weiß, was ihr gerade denkt: GEISTERFAHRER! Genau. Die gibt es hier überall. Und dass muss man dann auch akzeptieren, dass auf einer zweispurigen Straße, manchmal Fahrzeuge in 4 Verkehrsrichtungen unterwegs sind. Und manchmal wird gebremst, weil auf der Straße ein Imbisswagen steht und jemand hungrig ist. Essen hat in Kambodscha immer Vorfahrt! Eigentlich ist das alles hier ganz menschlich! Menschlich, ungerecht und zerbrechlich. Gut, die Unfallstatistik recherchiere ich morgen…. Morgen….